Auch in Stuttgart ist der EU-Austritt unter Briten ein Thema. Ein Besuch bei Einzelhändlern von der Insel zeigt, dass auch hier nicht alle einer Meinung sind.

Digital Desk: Sascha Maier (sma)

Stuttgart - Im Teeladen The English Tearoom im Heusteigviertel wird anders über Politik diskutiert als im Wirtshaus. Leiser, höflicher – vielleicht sind die Worte besser gewählt, als das bei einem Stammtisch der Fall wäre. Dennoch ist der mögliche Brexit – die Option eines EU-Austritts Großbritanniens – über den die Briten an diesem Donnerstag abstimmen, auch hier aktuell das Gesprächsthema Nummer Eins.

 

Ohne eine Tasse Tee angeboten zu bekommen, wird im Tearoom überhaupt nicht erst losdiskutiert. Und während anderswo die Nationalflagge an der Eingangstür ein Indiz für nationalstaatliches Gedankengut sein könnte, glüht Inhaberin Lynn Hazlewood für die europäische Idee – und hängt den Union Jack dennoch jeden Tag mit Stolz vor ihren Laden. „Es wäre schlimm, würden wir aus der EU austreten. Ich habe Angst um Europa, denn nur zusammen sind wir stark“, sagt die 55-Jährige.

Teetrinken wird hier zelebriert

Sie sagt, so sehen es im English Tearoom, der nicht einfach nur Tee verkauft, sondern auch gemeinsames Teetrinken in den Ladenräumlichkeiten zelebriert, die meisten Kunden. „Vor allem die Deutschen wollen, dass Großbritannien in der EU bleibt“, so Hazlewood weiter.

Höhere Zölle, die die Einfuhr mancher Produkte im Falle eines Brexits erschweren könnten, spielen dabei eine untergeordnete Rolle. „Unsere Teesorten importieren wir aus aller Welt“, sagt die Brexit-Gegnerin, „und so wichtig ist bei einer so großen Frage original britisches Teegeschirr dann auch nicht.“

Anders stellt sich das für Dana Veith dar, die unweit im Bohnenviertel den Laden Maria Stuart Interiors betreibt – ein Geschäft, in dem sich alles um britische Wohnkultur dreht. Veith importiert 100 Prozent ihrer Waren aus Großbritannien. Vintage-Möbel, Antikes und Deko. „Ich wäre da persönlich betroffen, wenn es zu irgendwelchen Schutzzöllen kommt“, sagt die gebürtige Schottin.

Anders sehen es manche, die wirtschaftlich unabhängiger sind. Collin Potter zum Beispiel, Inhaber einer Malereiwerkstatt in Stuttgart und gelegentlicher Gast im English Tearoom, sitzt etwas zwischen den Stühlen. „Die Europäische Union ist in meinen Augen ein Modell, das nicht richtig funktioniert“, sagt der 58-Jährige. Norwegen, das sich einem Beitritt damals versagt habe, sei zum Beispiel heute besser dran als die EU-Mitgliedstaaten. „Sicher ist es auch die Flüchtlingskrise, die viele Briten erschreckt“, fügt er hinzu.

Andererseits ist Potter sich auch nicht ganz sicher, ob ein EU-Austritt die Wirtschaft in der Heimat wirklich ankurbeln würde. „Ich lebe seit zwanzig Jahren in Deutschland. Da bekommt man gar nicht mehr so viel mit“, sagt er.

Bei Schottin Dana Veith ist das anders. „Meine Familie und andere Verwandte erzählen, dass das Land sehr gespalten ist und in der Heimat richtig aggressive Stimmung herrscht“, sagt sie. Sie ist dennoch glücklich darüber, dass ihre Familie sehr pro-europäisch denkt. Und glaubt, dass am Ende „die Vernunft“ siegen werde und Großbritannien EU-Mitglied bleibt.

Lynn Hazlewood vom Teeladen betrachtet ihren Union Jack ein wenig wehmütig, fährt mit den Fingern über den Stoff. Die Nationalflagge des Vereinigten Königreichs setzt sich aus Komponenten der Flaggen Englands, Schottlands und Nordirlands zusammen. Sie fürchtet, dass das Gefühl des Zusammenhalts durch einen EU-Austritt auch innerhalb von Großbritannien stark leiden könnte.

In Schottland etwa gibt es eine starke Unabhängigkeitsbewegung. „Ich kann mir den Union Jack ohne das weiße Kreuz auf blauem Grund nicht vorstellen“, sagt sie über die Komponenten der Flagge Schottlands. Die Nationalflagge Englands würde in diesem hypothetischen Fall nur noch aus dem sogenannten Georgskreuz und dem roten Andreaskreuz bestehen, beide auf weißem Grund. Und eine Europäische Union ohne Großbritannien? Für die Europa-Befürworterin kein geringerer Verlust.