Die viel gepriesene US-Autorin Eudora Welty war schon ein Fan der Krimis von Ross Macdonald, bevor sie den Mann dahinter kennenlernte. Bald schrieben sie einander, und die US-Ausgabe der Briefe macht Lust, auch die jeweiligen Werke neu zu entdecken.

Stuttgart - Mit den vergleichenden Metaphern – „die Ölpumpen ragten in den Himmel wie Wachtürme rund um ein Gefangenlager, in dem es kein Leben mehr gab“ – hat Ross Macdonald es manchmal ein wenig übertrieben in seinen Romanen um den Privatdetektiv Lew Archer. Aber gerade das zeigte damals: da war einer in den Krimiring gestiegen, dem einerseits die Sprache etwas bedeutete und andererseits der Verweis auf anderes jenseits des direkt Erzählten.

 

Jeder Vergleich, der vom Leser nicht sofort miteinander Assoziierte zueinander brachte, meldetet den Anspruch dieser Krimis an, mit anderem in Verbindung zu stehen, im Kriminalfall also von der Gesellschaft zu erzählen, von kollektiven Befindlichkeiten, aber auch von der seelischen Bedrängnis des Individuums. Archer ist zu gleichen Teilen wehrhafter Geheimnisaufdecker, absolutionsunfähiger Beichtvater und couchloser Psychotherapeut.

In den USA hat die Kritik Ross Macdonald (1915-1983), der eigentlich Kenneth Millar hieß und gebürtiger Kanadier war, längst zu den ganz großen der Krimigeschichte sortiert. In Deutschland ist er immer unterschätzt worden, heute wird er weniger denn je gelesen. Die Zeiten, als seine Archer-Romane annähernd vollzählig bei Diogenes lieferbar waren, sind lange vorbei.

Wer aber einen der älteren Macdonald-Ausgaben in die Hand bekommt, den könnte schnell ein Zitat von Eudora Welty neugierig machen: Ross Macdonald, schrieb diese in Deutschland ebenfalls in Vergessenheit geratene, aber zu den großen Stimmen des amerikanischen Südens zählende Kollegin, sei „ein ernsthafterer, komplexerer Schriftsteller als es Hammett oder Chandler je waren“.

Diese Wertschätzung stammt aus einer Zeit, als die beiden einander noch nicht persönlich kannten. 1970 äußerte sich Welty erstmals öffentlich über Macdonald, in einem Gespräch, das Walter Clemons von der New York Times Book Review, dem Gipfel der literaturkritischen Respektabilität also, mit ihr führte. „Ich glaube, ich habe alle seine Bücher gelesen. Einmal habe ich Ross Macdonald sogar einen Fanbrief geschrieben, aber dann doch nicht abgeschickt. Ich hatte Angst, er könne das kitschig finden.“

Ross Macdonald bekam den Artikel zu Gesicht und schrieb nun Welty wie sehr er ihre Arbeit schätze. Aus dem Brief wurde eine Korrespondenz, aus der eine platonische Liebesbeziehung. Beide glaubten, im anderen den Partner fürs Leben gefunden zu haben – aber Macdonald konnte sich zunächst nicht aus seiner unglücklichen Ehe mit der Autorin Margaret Millar lösen. Und dann machte sich die Alzheimer-Erkrankung bemerkbar, die ihn schon Jahre vor seinem Tod schrieb- und handlungsunfähig machte.

Briefausgaben als Siegel der Klassikerwürde sind auf dem Feld der Kriminalliteratur eine große Seltenheit. In den USA aber ist nun eine Sammlung der Briefe von Welty und Macdonald über Gott und die Welt, Freundschaft und Liebe, die Techniken, Mühen und Freuden des Schreibens, über Jazz und die Arbeit diverser Kollegen, über die Holperstrecken des Alltags und die Veränderungen der Welt erschienen, „Meanwhile There Are Letters – The Correspondence of Eudora Welty and Ross Macdonald“. Als Herausgeber fungieren die Welty-Biografin Suzanne Marrs und der Macdonald-Biograf Tom Nolan.

Vielleicht muss man nicht einmal auch nur eines der beiden Werke, weder das von Welty noch das von Macdonald, kennen, um diese rührende, warmherzige, unverkünstelte Korrespondenz mit Genuss zu lesen. „Meanwhile There Are Letters“ kann man wohl auch als schönes Zeugnis einer vorelektronischen Ära lesen, als die Berührung des anderen durch das private geschriebene Wort eine andere Sinnlichkeit besaß als der derbere Zugriff von Mail und SMS.

Wer aber schon einmal ein Buch von Macdonald oder Welty gelesen hat, wird hier sowieso eine anregende Lektüre finden. Nur ist diese Gruppe eben so klein, dass man auf eine deutsche Übersetzung nicht hoffen und warten sollte.

Suzanne Marrs, Tom Nolan (Hg.): „Meanwhile There Are Letters – The Correspondence of Eudora Welty and Ross Macdonald“. Arcade Publishing, New York. Hardcover, 568 Seiten, 16 Fotos. Empfohlener Verkaufspreis 35 $. Auch als E-Book erhältlich.