Ausnahmen wie die NSU-Trilogie „Mitten in Deutschland“ bestätigen die Regel: Heikle Themen haben es bei ARD und ZDF noch immer schwer. Regisseure setzen deshalb auf den „kreativen Druck“ neuer Anbieter wie Amazon und Netflix.

Stuttgart - ARD und ZDF wagen sich regelmäßig an heikle Stoffe, selbst wenn sie ahnen, dass sie im besten Fall gute Kritiken, aber keine guten Quoten bekommen werden – bestes Beispiel dafür war kürzlich die NSU-Trilogie „Mitten in Deutschland“. Trotzdem kommt es immer wieder vor, dass Drehbücher keine Aussicht auf Verfilmung haben, obwohl der Reiz ihrer Sujets offensichtlich ist.

 

Die Themen sind vielfältig, aber meist politischer Natur. Die Liste reicht von der Aufarbeitung der CDU-Parteispendenaffäre über Islamisten-Thriller bis hin zu Filmen über Hannelore Kohl oder Leni Riefenstahl. Das Porträt von Hitlers Lieblingsregisseurin, ein Projekt von Ufa-Fiction, ist seit Jahren umstritten. Joachim Kosack, einer der Geschäftsführer von Ufa-Fiction, findet es „völlig in Ordnung, dass man bei bestimmten Themen kritische Fragen zu hören bekommt, solange die Debatte in eine fundierte Auseinandersetzung über die Erzählhaltung mündet“. Er sei aber „nicht bereit zu akzeptieren, dass man irgendwelche Stoffe grundsätzlich nicht erzählen darf“. Es komme immer darauf an, mit welcher Haltung man das tue.

Während es beim Riefenstahl-Film Protest von allen Seiten gibt, tun sich die Sender mit ihren Argumenten bei anderen Stoffen schwerer. Niki Stein, Regisseur und Autor des ausgezeichneten Scientology-Dramas „Bis nichts mehr bleibt“, besitzt seit zwölf Jahren eine Option auf das Buch „Das Zimmer im Haus des Krieges“ von Christoph Peters, eine seiner Ansicht nach „brillante Abhandlung über den Islamismus“: Der deutsche Botschafter in Kairo muss sich nach mehreren Anschlägen mit einem deutschen Islamisten auseinandersetzen. Die TV-Sender haben jedoch ausnahmslos abgewinkt. Stein hat in den Redaktionen eine „Phobie gegen eine Annäherung an den Islam“ gespürt, „als habe man Angst, falsches Verständnis für einen Täter zu wecken“. Es herrsche die Furcht, „bei schwierigen politischen Debatten mal eine unkorrekte Position zu beziehen“.

Im Hintergrund lauert die Furcht vor einer schlechten Quote

Friedemann Fromm („Weissensee“) ist unter anderem mit einem geplanten Film über die Spätfolgen der Wiedervereinigung und alte Stasi-Seilschaften gescheitert. Ähnlich wie Stein darf auch er regelmäßig unbequeme Filme drehen, zuletzt die Serie „Die Stadt und die Macht“ (ARD). Deshalb kann er auch kein System in den Ablehnungen erkennen: „Oft hängt es einfach von der Großwetterlage ab.“ Im Hintergrund lauere jedoch stets die Furcht vor einer schlechten Quote: „In der Regel ist es den Sendern am liebsten, wenn eine Geschichte nach Schema F erzählt wird.“ Generell, sagt ein anderer Kenner der Branche, „grassiert bei den Sendern eine große Angst, für irgendetwas geradestehen zu müssen. Niemand will die Verantwortung für einen brisanten Stoff übernehmen.“ Der Drehbuchautor Benedikt Röskau („Contergan“) liefert die Analyse zu dieser Behauptung: „Im deutschen Fernsehen hat es ein Stoff immer dann schwer, wenn er die bürgerliche Vorstellungskraft überschreitet.“ Deshalb flüchteten sich die Sender „in die synthetische Form des Krimis, dessen Handlung sich aus sich selbst legitimiert: Durch den Todesfall zu Beginn wird die Notwendigkeit in Gang gesetzt, die Geschichte zu erzählen.“ Bei sozialen Dramen sei es dagegen viel schwerer, eine Vereinbarung mit dem Publikum herzustellen.

Allerdings trauen sich nur wenige Autoren, namentlich zu ihrer Kritik zu stehen, schließlich betrifft sie die potenziellen Auftraggeber. Zu den Ausnahmen gehört auch der Erfolgsautor Holger Karsten Schmidt: „Mit Action, Politthriller, Musical, Horror oder Science-Fiction muss man den Sendern gar nicht erst kommen. Krimi, Schmonzette und deutsches h-Moll-Drama gehen immer.“ Der mehrfache Grimme-Preisträger („Mörder auf Amrum“) hat kurz nach den Anschlägen auf das World Trade Center (2001) ein Konzept für einen Zweiteiler entwickelt. In „Europe at War“ werden Attentate auf das Straßburger Europaparlament und das Pariser Verteidigungsministerium verübt. Das Projekt war als europäische Koproduktion geplant, scheiterte aber bereits in Deutschland: Die Sender fürchteten, der Film könne Terroristen zur Nachahmung anstiften.

Markus Stromiedel schreibt deshalb mittlerweile nur noch Romane. Auch er äußert Grundsatzkritik an den Sendern: „Jeder Redakteur hat Angst, Fehlentscheidungen zu treffen und einen Film zu produzieren, der nicht an die gängigen Erfolgsmuster anknüpft. Hintergrund dieser Haltung ist der Trugschluss, die Zahl der Zuschauer für ein Qualitätskriterium zu halten.“ Der Autor hofft, dass Anbieter wie Amazon und Netflix kreativen Druck auf ARD und ZDF ausüben: „Wir brauchen eine Revolution von oben. Jemand muss der Redaktion die Leine vom Hals nehmen und den Auftrag erteilen, etwas völlig Neues zu produzieren, und zwar ohne Rücksicht auf Quoten.“