Erstmals geht der britische Man-Booker-Preis an einen afroamerikanischen Autor: Paul Beatty schaltet sich mit „The Sellout“ in die Rassismus-Debatte ein.

Stuttgart - Wenn von Klassikern der afroamerikanischen Literatur gesprochen wird, dann werden zwei Titel garantiert niemals ausgespart: „Their Eyes were watching God“ von Zora Neal Hurston und „The Color Purple“ von Alice Walker. Die beiden Bücher haben das Feld für schwarze Schriftsteller bereitet und die Richtung vorgegeben, wie über das Schwarzsein in diesem Land geschrieben werden kann.

 

Der schwarze Literaturwissenschaftler Henry Louis Gates hat schon in den achtziger Jahren einen Begriff dafür geprägt, was diesen beiden Büchern und unzähligen anderen, weniger berühmten Werken schwarzer Literatur gemein ist. Er nennt es die Taktik des „Signifying“, des listenreichen Spiels mit Bildern, Klischees und Themen, das den Leser brüskiert und ihn zwingt, sicher geglaubte Annahmen über sich selbst, über das Andere und über die Beziehungen zwischen den beiden in Zweifel zu ziehen.

Für Gates ist dieses Spiel mit den Signifikanten seit je eine Überlebensstrategie für Afroamerikaner. Hurston und Walker etwa zeichnen die Rolle der schwarzen Frau in den USA als so bitter und brutal, wie sie bisweilen ist. Dabei lassen sie jedoch keinen Raum für herablassendes weißes Mitleid und schaffen stattdessen, aller Unterdrückung zum Trotz, einen Boden für Würde und Selbstachtung.

Leben in einem nicht-existenten Stadtteil

Das Sprechen über das Schwarz-Sein in Amerika ist seit Hurston und Walker aber nicht einfacher geworden. Die von Gates beschriebene Strategie des Signifying ist deshalb aktueller denn je. Jetzt hat Paul Beatty als erster Amerikaner überhaupt und dazu eben noch Afroamerikaner den Man-Booker gewonnen, den wichtigsten britischen Literaturpreis – und er gehört nicht nur zu den Meistern des Signifying, sondern auch zu den wichtigsten Stimmen der Black-Lives-Matter-Ära.

In seinem jetzt preisgekrönten Buch „The Sellout“ führt Beatty die Taktik des „Signifying“ meisterhaft vor. Der Roman ist ein komisches Stück über die Rassenbeziehung in Amerika, beinahe ein Schelmenroman, bei dessen Lektüre aber insbesondere dem weißen Leser das Lachen im Halse stecken bleibt. Die Hauptfigur namens „Me“ lebt in Dickens, einem Stadtteil von Los Angeles, der offiziell von der Karte gelöscht und für nicht-existent erklärt worden ist, gerade so, wie das weiße Bürgertum viele arme schwarze Bezirke in Amerika aus seiner mentalen Landkarte einfach getilgt hat. Doch damit beginnt der im Doppelsinn schwarze Humor erst – und er endet damit, dass Me im getilgten Stadtteil alte rassistische Schikanen wie die Rassentrennung in öffentlichen Verkehrsmitteln und Schulen wieder einführt.

Das Buch hat Beatty die Etikette des Satirikers eingetragen, ganz in der Tradition großer amerikanischer Humoristen wie Mark Twain. Doch Beatty wehrt sich vehement gegen alle Labels. Eigentlich, so sagt er in einem Interview, sei es ihm mehr um Wahrheit zu tun als um Persiflage. Natürlich verweben sich bei Beatty die beiden auf eine untrennbare Weise. Und wenn das dem Leser Unwohlsein bereitet, dann, so Beatty, habe er sein Ziel erreicht – ein Ziel, das laut Gates die Taktik des „Signifying“ verfolgt.

Mehr denn je ist diese Taktik die produktivste Form, um über die in den USA komplizierten Beziehungen zwischen Menschen verschiedener Hautfarbe zu reden. Sie erlaubt eine Ehrlichkeit, die bei aller gebotenen Vorsicht im Alltag ansonsten nicht möglich ist – und eröffnet mithilfe größter sprachlicher Kunstfertigkeit einen Raum für Afroamerikaner, in der US Gesellschaft präsent zu sein, ohne sich zu verbiegen.