Allen Skandälchen zum Trotz war die Sängerin Britney Spears auch musikalisch nicht faul. Nun möchte sie mit einer neuen Platte an die guten alten Zeiten anknüpfen.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Gesetzt den zugegebenermaßen unwahrscheinlichen Fall, man hätte noch nie etwas von einer amerikanischen Popmusikerin namens Britney Spears gehört – wie würde der Höreindruck bei ihrem neuen Album „Glory“ ausfallen? Angenehm zunächst einmal, von der extrem gewöhnungsbedürftigen Singstimme natürlich abgesehen. Der Song „Do You Wanna Come Over?“ bietet einen coolen Beat, der auch auf jedem Peaches-Album daheim sein könnte. Gleiches gilt für das Stück „Clumsy“, das alles andere als ungeschickt bestens auf jeden Dancefloor geschickt werden kann. „Change Your Mind“ flirtet, wir befinden uns hier bereits bei den Bonus-Tracks der De-luxe-Ausgabe des Albums, mit spanischem Gesang, der Rausschmeißer „Coupure électrique“ kommt sogar komplett französisch daher.

 

Spears kann sich nicht entscheiden

Gleicher Schnitt, neuer Look gilt als Motto für „Glory“ allerdings nur bedingt. Auf einem guten Dancefloor müssten schließlich auch Tiefbässe das Zwerchfell kitzeln, doch bei dieser Produktion sind sie so komplett kahl rasiert worden, wie man es bei einem Album aus der Rubrik „Contemporary Dancepop“ in dieser Drastik selten gehört hat.

Alle Genreanleihen von Rap bis R’n’B, mit denen Britney Spears hier kokettiert, sind von ihrer Produzenten- und Autorenriege tüchtig glatt gebügelt worden; paradigmatisch für die Instrumentierung steht die Gitarre in „Do You Wanna Come Over?“ – sie klingt, als hätte man in die Synthesizer-Datenbank den Suchbegriff „möglichst artifizielles Riff“ eingegeben. Enttäuschend ist jedoch vor allen Dingen, dass das Gros der zwölf (regulär) beziehungsweise siebzehn (de luxe) Songs so formatiert wurde, dass es drei Minuten lang ist, sich für After-Work-Lounges ebenso eignet wie zur Clubnebenherbeschallung, für einen Haarspraywerbespot ebenso wie für eine Radiomorningshow, dass hier ein Ego produziert und keinerlei musikalische Identität und vor allem Linie vermittelt werden soll.

Die Zielgruppe scheint klar umrissen: ein MP3-Klang-affines Publikum, das eher an den Las-Vegas-Showstar (der Britney Spears in den letzten Jahren war) denn an die Tausenden kleinen pikanten Histörchen denkt (für welche die Dame bekanntlich auch gut war). Das als Gradmesser keinesfalls markante Hooklines wie einst in „Oops I Did It Again“ oder „Baby One More Time“ anlegt. Sich nicht stört an einer, nun ja, Singstimme, die eine 34-jährige Frau wie ein hilfsbedürftiges Teeniegirl klingen lässt. Und an dem dummen Gerede über fremdbestimmte Interpreten nebst ihren Erfüllungsgehilfen aus der Unterhaltungsmusikindustrie.

Zwei Sterne gibt’s, gerade so eben, für „Do You Wanna Come Over?“ und „Clumsy“. Nach dem Kaliber einer Rihanna oder einer Beyoncé mag Britney Spears sich vielleicht strecken. Aber die sind, sowohl was musikalische Güte wie künstlerische Integrität betrifft, meilenweit weg.