Im Streit um die Einhaltung der EU-Luftreinhaltungsrichtlinie befürwortet die EU-Kommission „verschärfte Zufahrtbeschränkungen“ und wagt sich damit auf vermintes Gelände in der deutschen Politik.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Die EU-Kommission befürwortet die Einführung der bundesweit umstrittenen Blauen Plakette. Auf Seite 35 des jüngsten Mahnschreibens aus Brüssel im Streit über die permanenten Verstöße gegen die Luftreinhaltungsrichtlinie steht: Die Kommission begrüße die Debatte in Deutschland „für die Einrichtung von Umweltzonen mit verschärften Zufahrtsbeschränkungen“. Und weiter: „Zu diesen Zonen hätten lediglich Fahrzeuge mit geringeren Stickstoffoxid-Emissionen Zugang (Blaue Plakette).“ An zwei weiteren Stellen in dem insgesamt 42 Seiten umfassenden Mahnschreiben, mit dem Brüssel Berlin Druck macht und das die letzte Stufe des laufenden Vertragsverletzungsverfahrens vor einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) darstellt, zeigt die Kommission Sympathie für die Maßnahme, an bestimmten Tagen nur noch die saubersten Dieselfahrzeuge in die Stuttgarter Innenstadt und in weitere belastete Städte hineinfahren zu lassen.

 

Dass die Brüsseler Behörde Partei für die Blaue Plakette ergreift, ist ungewöhnlich. Normalerweise stellt sie es den Mitgliedstaaten frei, wie diese die Vorgaben erfüllen. Im Dauerstreit über die Luftreinhaltung wagt sich die Kommission jetzt aber weit vor und schlägt sich damit auf eine Seite. Schwarz-Grün in Stuttgart ist für die Blaue Plakette, ebenso viele Umweltminister der Bundesländer, und auch Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) hat sich dafür stark gemacht. Vor allem aber der Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) steht massiv auf der Bremse.

Doch die Zeit drängt. Die Bundesregierung hat nun bis Mitte April Zeit, um auf das jüngste Mahnschreiben aus Brüssel zu antworten. Danach kann die Kommission jederzeit die Klage vor dem EuGH einreichen (siehe Infokasten). Die Frage ist: Wird das Bundesverkehrsministerium den Widerstand gegen die Blaue Plakette aufgeben? Erste Signale aus Berlin deuten nicht darauf hin. Ein Sprecher von Dobrindt verweist darauf, dass im Vertragsverletzungsverfahren formal das Umweltministerium zuständig sei, lehnt ansonsten eine Stellungnahme ab. Wie aus Berlin zu hören ist, hält das Haus Dobrindt nach wie vor wenig von der Blauen Plakette. Sie sei ein Verbot und laufe auf eine Enteignung der Besitzer von Euro-5-Fahrzeugen hinaus. Besser sei, die Umrüstung von Fahrzeugen zu fördern, die viel in die Innenstadt fahren wie Taxen, Kleinlaster, Busse und Lastwagen der Stadtreinigung. Nach Informationen unserer Zeitung hat Dobrindts Haus bei einem Strategiegespräch mit dem Umweltministerium erst wieder bundesweite Regelungen zur Ermöglichung von Verkehrsbeschränkungen abgelehnt.

Im Bundesumweltministerium ist man dagegen sichtlich verärgert über das Verkehrsministerium. In der Sache Blaue Plakette stehe eindeutig der „Kühlschrank im Büro von Alexander Dobrindt“, ist zu hören. Ministerin Barbara Hendricks (SPD) rügt gegenüber unserer Zeitung den Stillstand: „Wir können das Problem nicht aussitzen.“ Gefordert sei ein Konzept. Sie lobt die jüngsten Beschlüsse aus Baden-Württemberg, Einfahrverbote 2018 zu erlassen, falls im Laufe dieses Jahres weiterhin gegen die Richtlinie gravierend verstoßen werde.

Stuttgart ist EU-weit nicht die einzige Stadt, die Probleme mit den Grenzwerten bei Feinstaub und Stickoxiden hat. Das jüngste Mahnschreiben aus Brüssel bezieht sich auf Verstöße gegen die Stickoxid-Grenzwerte in 28 deutschen Städten und Regionen, darunter Berlin, Hamburg, München und Köln. Neben Deutschland drohen Klagen vor dem EuGH allen großen EU-Mitgliedern: Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien. Dennoch ist auffällig, dass die Kommission die Dinge in Stuttgart besonders aufmerksam beobachtet. Durchaus mit Sympathien, wie die Politik in Baden-Württemberg mit dem Problem umgeht.

Als jüngst der zuständige Generaldirektor Daniel Calleja Crespo eine Abordnung aus dem Landesverkehrsministerium traf, gab es Lob. Er zeigte sich dem Vernehmen nach beeindruckt, dass das Land ein Wirkungsgutachten erstellen ließ. Auch die Maßnahmen wie der Feinstaubalarm, die Mooswand und das Verbot der Nutzung von Komfortkaminen an bestimmten Tagen seien richtige Schritte. Man schätzt in Brüssel, dass die Baden-Württemberger nicht den Schwarzen Peter nach Brüssel schieben, sondern nach Lösungen suchen. Klargestellt wurde aber: Rabatt bekommt Stuttgart dafür nicht, die Grenzwerte müssen eingehalten werden.

Vor diesem Hintergrund hat die Stadt erklärt, der laufende Feinstaubalarm gelte wegen der hohen Werte vorerst weiter.