Bruno Dobelmann aus Stuttgart hat als Erster die Doppelbeltquerung geschafft: von Fehmarn nach Rödby in Dänemark - und wieder zurück.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Stuttgart - Draußen weht ein kühler Wind, das Wasser ist schön warm. Zahlreiche Schwimmer genießen den Herbstnachmittag im Oscar-Frech-Bad am Schorndorfer Stadtrand. Manche der Badegäste blicken ungläubig hinaus zum Natursee. Der Außenbereich des Bads ist wegen der Temperaturen, die nachts den Gefrierpunkt erreichen, eigentlich geschlossen. Aber das kann doch einen Bruno Dobelmann nicht erschüttern.

 

Nur mit einer Badehose bekleidet, einer leuchtend gelben Schwimmkappe auf dem Kopf und einer Schwimmbrille auf der Nase steht er am Seeufer. Wassertemperatur: 13 Grad Celsius. "Es hat ganz schön abgekühlt, vor drei Wochen waren es noch 18", ruft Dobelmann und fuchtelt wie wild mit den Armen - Bewegung ist gut gegen die Kälte. Dann springt er in das algige, trübe Seewasser. Es platscht gewaltig. Der 110-Kilo-Mann taucht kurz unter, dann treibt er auf dem See und stöhnt: "Oahhh, ist das kalt. Dagegen war der Belt richtig warm."

Arbeitskollegen haben Dobelmann mal den Spitznamen "Orca" verpasst. Seitdem nennen ihn alle so. Orca hat im Juli als erster Schwimmer überhaupt die Doppelbeltquerung geschafft. Für die insgesamt 50 Kilometer von Fehmarn in Deutschland nach Rödby in Dänemark und zurück benötigte der Maschinenschlosser, der beim Daimler in Stuttgart-Untertürkheim Schichtdienst schiebt, gut 19 Stunden. Die Ostsee hatte 14 bis 17 Grad. Der Ultralangstreckenschwimmer überschreitet gerne Grenzen.

Zunächst werde er sich mal ein bisschen einschwimmen, sagt der 52-Jährige und stöhnt wegen des saumäßig kalten Wassers noch mal Richtung Himmel. Mit langsamen, ruhigen Zügen krault Orca davon. Es gibt ungezählte Schwimmer, die schneller sind als er, die meisten haben auch athletischere Figuren. Der Zweizentnermann ist 1,75 Meter groß, er schafft einen Kilometer in rund 20 Minuten. Das ist nicht unbedingt rekordverdächtig. Doch kaum ein anderer Wassersportler hat den Willen und die Ausdauer dieses Mannes, der erst vor rund fünf Jahren mit dem Langstreckenschimmen angefangen hat. Er hält bei mehreren 24-Stunden-Schwimmen die Streckenrekorde. Wenn er gut drauf ist, und das ist er fast immer, spult er an Wettkampftagen 50 Kilometer und mehr runter.

Er hält mehrere Streckenrekorde

Zur Orientierung während des Trainings in dem Schorndorfer See hat Dobelmann zusammen mit seinem Freund, Begleiter, Trainingspartner und Sponsor Oliver Halder aus Winnenden zwei neongelbe Stricke gespannt. Drei Seiten des Seeufers sind betoniert, die Bahn in dem Naturgewässer ist genau 100 Meter lang: fünfzig Bahnen fünf Kilometer. Das kann man sich leicht merken, auch wenn die Eiseskälte die Arbeit der grauen Zellen einmal verlangsamen sollte.

"Das Kribbeln an den Armen und Beinen vergeht beim Schwimmen schnell", ruft Orca bei der ersten Wende aus dem Wasser. "Der Körper gewöhnt sich dran." Noch mal ein paar Bahnen später meint der Krauler: "Jetzt wird's richtig warm." Temperaturempfinden ist Ansichtssache. Die meisten Planscher nebenan im Hallenbad dürften Bruno Dobelmann ob seiner Einschätzung für reichlich seltsam halten.

An diesem Nachmittag bleibt er eine Stunde im Wasser. Dann gibt's im Bistro des Hallenbads einen heißen Milchkaffee. Später werde er vielleicht noch mal reinspringen, sagt Dobelmann und grinst breit. Als fünfjähriger Bub hat er im Cannstatter Hallenbad schwimmen gelernt. Er war ein paar Jahre lang im Verein, wahrscheinlich krault er deshalb stilistisch nahezu perfekt. Viele Sportler tun sich extrem schwer, wenn sie erst als Erwachsene lernen wollen, korrekt zu schwimmen. Mit zwölf Jahren hatte Bruno dann aber keine Lust mehr auf Sport. "Ich habe extrem nix gemacht", sagt er.

Während des Wehrdienstes bei der Marine hätten ihn vermutlich keine hundert Pferde dazu gebracht, freiwillig in der Ostsee baden zu gehen. Er habe damals noch nicht einmal gewusst, dass es den Belt überhaupt gibt. Beim Militär bekamen die Soldaten alle vier Stunden etwas zu essen. Damals hat sich Dobelmann peu à peu seinen "Biopren" zugelegt. So nennt der Marathonschwimmer heute seine Speckschicht, die ihn im kalten Wasser offenbar besser schützt als andere Schwimmer ein Neoprenanzug. Mit knapp 30 beschloss er, "was zu tun für die Figur". Dobelmann kaufte sich ein sündhaft teures Rennrad, über die Jahre hinweg hat er auf dem Sportbike rund 100.000 Kilometer zurückgelegt.

Der Mann mit der einzigartigen Willensstärke

Dann passierte die Sache mit der Wette: eine nette Party mit Freunden, eine hübsche, durchtrainierte Frau - "die musste ich unbedingt ansprechen". Sie erzählte, sie sei Marathonläuferin. "Das will ich auch mal machen", antwortete Dobelmann spontan - worauf die Sportsfrau einen Lachkrampf bekam. Dobelmann, damals mit gut 120 Kilo Lebendgewicht, bot ihr die Wette an, die sein Leben verändern sollte: binnen neun Monaten schaffe er einen 42-Kilometer-Lauf. Er hat gewonnen - nicht den Lauf, aber die Wette.

Seither ist der Mann mit der einzigartigen Willensstärke Ausdauersportler. Nach mehreren Marathonläufen meldete er sich ein paar Jahre später spontan beim ersten Waiblinger 24-Stunden-Schwimmen an. Unmittelbar nach dem Sprung ins Wasser musste er ernüchtert feststellen, dass er das Kraulen verlernt hatte. Also schwamm er im Bruststil - fast 24 Stunden nonstop, 27 Kilometer weit. Und gewann.

Das ist jetzt fünf Jahre her. Inzwischen krault Dobelmann wieder, er krault und krault: 3500 Kilometer im Jahr. Der "überzeugte Single mit Freundin in Bielefeld" ist beim Nordseeschwimmen vor der ostfriesischen Insel Langeoog gestartet und beim Zürichseemarathon. Er ist mit einer Staffelmannschaft durch den Ärmelkanal geschwommen - und in diesem Juli dann zweimal quer durch die Ostsee gekrault. Weltrekord. Eine Schwimmfreundin hatte ihn zur Doppelbeltquerung ermutigt: "Du bist so bescheuert, du schaffst das." Sie hat recht behalten.

Dobelmann spricht, wie er schwimmt: nonstop, ohne Punkt und Komma. Er erzählt, dass er zurzeit "ein massives Problem" habe mit warmem Wasser. Training im Hallenbad bei 27 Grad? Nein, das ist momentan gar nichts für ihn. Ihm sei das jetzt immer kälter werdende Seewasser lieber. Im Winter will er zur Vorbereitung auf die nächsten Rekordversuche so lange in Schorndorf trainieren, bis der See zufriert.

Thermopads helfen beim Wasserlassen

Auf Dauer bereite ihm die Kälte mitunter aber ein Problemchen "beim Pipi machen". Geht nämlich nicht. Viele Freiwasserschwimmer stünden vor dem gleichen Dilemma, "aber keiner spricht drüber". Dobelmann hat eine Urologin aufgesucht und ihr erzählt, dass er im kalten Wasser nicht könne. Die verblüffte Ärztin habe gesagt: "Ja dann gehen sie doch einfach raus aus dem Wasser." Weshalb er denn überhaupt stundenlang da drinnen bleibe? - "Weil ich so langsam schwimme, ich kann nicht schneller", erklärte Dobelmann. Die Lösung für das Wasserlassproblem ist jetzt gefunden: Dobelmann schiebt sich Thermopads in die Hose, preiswerte Einmalhandwärmer, die sich auf Druck erhitzen. Die Wärme am Bauch lockert dann die Blase.

Ein anderer Arzt, den er wegen Rückenbeschwerden konsultierte, riet dem Patienten, es doch mal mit schwimmen zu versuchen. Dobelmann musste ihm erst mal erklärten, dass er ständig 50Kilometer am Stück kraule - worauf der Mediziner ihn für verrückt erklärte.

Die meisten Freunde und Bekannten sind begeistert von seinen Leistungen. Nur die eigenen Eltern weniger. Die haben nach der Beltquerung mit Bootsbegleitung, die rund 6500 Euro gekostet hat, trocken erklärt: "Was machst du für einen Scheiß? Lass das Geld da, wo es hingehört: auf dem Bausparvertrag."

Solche Querschüsse bringen den Sohn aber nicht ab von seinem Kurs. Er hat noch große Pläne. Im nächsten Jahr würde der Marathonmann gerne allein durch den Ärmelkanal von England nach Frankreich schwimmen. Doch die Kosten für dieses Abenteuer kann er nur mit Hilfe weiterer Sponsoren aufbringen. Denn einen Bausparvertrag hat er nicht.

Die Alternative sei eine Längsdurchquerung des Bodensees. Für die 64 Kilometer rechnet Dobelmann mit einer Schwimmzeit von etwa 24 Stunden. Sein Motto, sagt er, bleibe jedenfalls das Gleiche wie in diesem Sommer bei der Beltquerung: "Ankommen oder absaufen".

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