Die Bruttolöhne in Baden-Württemberg fallen seit Jahren auseinander. Ein Patentrezept dagegen gibt es allerdings nicht. Wie steht die Region Stuttgart da?

Stuttgart - Baden-Württemberg ist als Land der Schaffer bekannt. Nur: Nicht überall, wo geschafft wird, wird dies auch gleich gut honoriert. Das zeigen aktuelle Zahlen des Statistischen Landesamts zum Arbeitnehmerentgelt. Damit wird gemessen, wie viel Arbeitnehmer brutto verdienen – also mit ihrer eigenen Hände Arbeit.

 

Im Land ist das Arbeitnehmerentgelt äußerst ungleich verteilt – und die Schere öffnet sich immer weiter. Während die Beschäftigten in Stuttgart oder Böblingen weit über dem Landesschnitt verdienen und das Arbeitnehmerentgelt hier in den vergangenen 15 Jahren auch weit überdurchschnittlich zugelegt hat, sind Südbaden, der Neckar-Odenwald-Kreis oder die Stadt Heilbronn von dieser Entwicklung abgehängt.


Die folgende Karte zeigt, wie hoch das Arbeitnehmerentgelt 2014 in den baden-württembergischen Kreisen war - je roter, desto höher. Ein Klick auf den jeweiligen Kreis öffnet ein Fenster mit weiteren Informationen.

Ein Beispiel: Der durchschnittliche Arbeitnehmer im Kreis Böblingen verdiente 2014 brutto fast 11 000 Euro mehr als noch zur Jahrtausendwende. Im Kreis Konstanz betrug der durchschnittliche Zuwachs im selben Zeitraum lediglich knapp 4800 Euro. Umgerechnet auf die Brutto-Stundenlöhne lässt sich die Entwicklung klar erkennen. Im Kreis Böblingen lag der Durchschnittsstundenlohn im Jahr 2014 bei 38,18 Euro, im Neckar-Odenwald-Kreis wurden nur 27,18 Euro bezahlt. Die beiden Kreise hatten schon im Jahr 2000 bei dieser Statistik die Extremwerte geliefert. Damals waren sie mit 28,92 Euro und 21,99 Euro aber noch deutlich näher beieinander gelegen.

Großstädte liegen (teilweise) hinten

Allerdings gibt es nicht, wie vielleicht zu erwarten wäre, ein klares Stadt-Land-Gefälle. Vielmehr liegen Großstädte wie Freiburg, Heilbronn oder Pforzheim und das etwas kleinere, aber feine Baden-Baden deutlich unter dem Landesschnitt, ländliche Gebiete wie der Bodenseekreis, die Kreise Heilbronn (Land), Tuttlingen oder Biberach dagegen klar darüber. Biberach entwickelte sich dabei besonders erfolgreich und legte in dieser Statistik um 9000 Euro zu. Der Kreis rutschte damit vom hinteren Mittelfeld in die Spitzengruppe.

Im baden-württembergischen Wirtschaftsministerium sieht man die Gründe für die Unterschiede hauptsächlich in der jeweiligen Wirtschaftsstruktur der Stadt- und Landkreise. In der Regel würden in der Industrie höhere Einkommen erzielt als in den meisten Dienstleistungsbranchen. Dieser Bereich sei aber vor allem in den Städten stark. Dagegen seien im ländlichen Raum viele familiengeführte mittelständische Unternehmen ansässig, die häufig sogar Weltmarktführer auf ihrem Gebiet seien und hohe Löhne zahlen könnten. Allerdings sehe das Ministerium kein „kontinuierliches Auseinanderdriften der Arbeitseinkommen“. So seien Arbeitsplätze in der Industrie wegen ihrer Abhängigkeit vom Export deutlich stärker von Konjunktureinbrüchen betroffen. Im Jahr 2009 habe monatelange Kurzarbeit die Einkommen geschmälert. Der Dienstleistungsbereich sei davon weitgehend verschont geblieben.


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Insgesamt stehe Baden-Württemberg im Vergleich zu anderen Bundesländern besser da. „Bei uns sind die wirtschaftlichen Stärken über das Land viel gleichmäßiger verteilt als beispielsweise in Bayern“, heißt es in der Stellungnahme des Ministeriums. Dementsprechend variierten auch die gezahlten Stundenlöhne weniger stark. Es gebe keinen einzigen Kreis im Land, um den man sich sorgen müsse, betonte die Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut. Spätestens im neuen Jahr wolle sie aber damit beginnen, die Kreise im Land zu bereisen. „Als Wirtschaftsministerin will ich mir von der unterschiedlichen Wirtschaftsstruktur im Land ein umfassendes Bild machen“, sagte die CDU-Politikerin.

Gewerkschaft beklagt Lohnminus

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sieht die Lage weniger rosig. Zwar habe die Zahl der Erwerbstätigen laut Statistik zugelegt, das Arbeitsvolumen habe aber nicht Schritt gehalten. „Dies zeigt, dass die häufig zu hörende These vom allgemeinen Jobwunder fragwürdig ist“, erklärte Andrea Gregor vom DGB in Stuttgart. Insgesamt hätten die meisten Arbeitnehmer heute weniger Geld zur Verfügung als noch vor 15 Jahren.

Tatsächlich lag der Lohnzuwachs nur in wenigen Kreisen über der Inflationsrate. So hatten Beschäftigte in Biberach inflationsbereinigt im Jahr 2014 fast 2500 Euro mehr im Jahr zur Verfügung als zur Jahrtausendwende. Im Kreis Böblingen waren es immer noch rund 1000 Euro. Landesweit büßte der Durchschnittslohn preisbereinigt aber 600 Euro im Jahr an Wert ein. Den Menschen in Heilbronn und Pforzheim fehlten dabei mehr als 2000 Euro. Im Kreis Konstanz waren es sogar 3000 Euro.

Am Beispiel der Stadtkreise Baden-Baden und Heilbronn zeigt sich, warum das Arbeitnehmerentgelt eine bislang zu wenig beachtete Größe ist. Die beiden Städte liegen beim Arbeitnehmerentgelt landesweit hinten – bei Unternehmens- und Vermögenseinkommen aber ganz vorn. Heilbronn wurde jüngst in einem Ranking sogar zur reichsten Stadt Deutschlands gekürt. Für die gute Platzierung ist allerdings ein einzelner Heilbronner verantwortlich: Dieter Schwarz, der Eigentümer von Kaufland und Lidl, gilt mit einem geschätzten Vermögen von 17 Milliarden Euro als reichster Mann Deutschlands. Es ist also Definitionssache, ob man einen Kreis als wohlhabend bezeichnen kann – und wie viel von dem erwirtschafteten Geld tatsächlich bei Arbeitnehmern ankommt.

Warum das Arbeitnehmerentgelt wichtig ist

Unter dem Arbeitnehmerentgelt verstehen Volkswirte die Bruttolöhne und -gehälter der abhängig Beschäftigten zuzüglich der Sozialbeiträge der Arbeitgeber. Das Arbeitnehmerentgelt erfasst somit all das, was mit eigener Hände Arbeit verdient wird.

Das Arbeitnehmerentgelt wird in der Öffentlichkeit weniger beachtet als zum Beispiel das Bruttonationaleinkommen (früher Bruttosozialprodukt). Dieses Maß erfasst aber auch Einkommen aus Vermögensbesitz – was angesichts der ungleichen Verteilung von Geld- und Immobilien-vermögen nur einen Teil der Wohlstands-Realität hierzulande wiedergibt. Laut einer Analyse des Statistischen Bundesamts ist das Arbeitnehmerentgelt die bedeutendste Einkommensquelle für die Bürger, mit deutlichem Vorsprung vor Vermögenseinkommen.

Laut neuesten Zahlen beträgt das Arbeitnehmerentgelt im Südwesten durchschnittlich 41 240 Euro; allerdings gibt es zwischen Spitzenreiter Stuttgart (50 663 Euro) und Schlusslicht Heilbronn (34 265 Euro) erhebliche Unterschiede. Bundesweit beträgt das Arbeitnehmerentgelt im Schnitt 38 709 Euro; Spitzenreiter bei den Bundesländern ist Hamburg mit 46 853 Euro, bei den Schlusslichtern Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt liegt es je unter 31 000 Euro.