Volker Häberlein besucht schon lange mit Gruppen das Konzentrationslager in Auschwitz. Jetzt gibt ein Buch über diesen Ort und die Gefühle der Besucher heraus. Zudem bekommt das Bundesverdienstkreuz verliehen.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

S-Mitte - Dieses Buch mit literarischen Maßstäben zu messen, wäre ungerecht. Es ist von Amateuren verfasst. Dieses Buch mit literarischen Maßstäben zu fassen, würde überdies misslingen. „Dieses Buch ist kein schönes und kein angenehmes Lesebuch.“ So warnt Heinz Gerstlauer, der Vorstandsvorsitzende der Evangelischen Gesellschaft in Stuttgart, der Eva, was keineswegs als Kritik zu verstehen ist. Die Eva ist eine von drei gemeinnützigen Organisationen, die dieses Buch finanziert haben und hat es verlegt.

 

Häberleins Anliegen war es den Menschen zu helfen

Nicht einmal der Herausgeber und Mitautor Volker Häberlein hegt einen literarischen Anspruch. Er bekennt gar, dass das Schriftdeutsche nicht zu seinen Stärken zählt. Er hat andere. Einen Tag nach der Veröffentlichung seines Buches ist Häberlein das Bundesverdienstkreuz überreicht worden, für sein Lebenswerk. Das ist vielfältig, im Hauptamt als mittlerweile pensionierter Abteilungsleiter bei der Eva wie in Ehrenämtern, etwa im Vorstand des Suchthilfevereins Release. Gemeinsam ist allem, was er tat und tut, dass Häberlein stets anderen helfen wollte. Denjenigen, denen sein Buch gewidmet ist, kann niemand mehr helfen. Sie sind ermordet worden. „Reisen nach Auschwitz“ ist dieser Teil seines Lebenswerks betitelt.

Die Besucher vergessen das Gesehene nicht mehr

Seit 1985 fährt Häberlein mit Gruppen jeden Alters ins ehemalige Konzentrationslager. Mehr als eine Million Menschenleben haben die Nazis dort ausgelöscht. Das Buch soll „ein Gespür dafür geben, wie Auschwitz und Birkenau in die Seele von uns Nachgeborenen hineinwirken“, schreibt Häberlein. In mancher Seele bohren sie. Nach dem Besuch habe er alle zuvor gelesenen Bücher über das Vernichtungslager weggeworfen, schreibt einer der Autoren, weil „ich versuche, mich selbst zu schützen, auch wenn es oft nicht geht“.

Der Haupt- und interessanteste Teil der 180 Seiten sind Berichte von Reisenden, die versuchen, ihre Eindrücke und Gefühle zu beschreiben. Was manchem misslingt, wie der Satz offenbart: „Ich kann es noch immer nicht wirklich in Worte fassen, was dort so grausam ist.“ Mancher Besucher versucht sich an vergleichsweise nüchternen Reiseberichten. Andere schrieben ihre Gedanken als Gedicht nieder. Kürzere Beiträge sind schlicht als Brief an Häberlein verfasst.

Viele verschiedene Fragen, doch wenige Antworten

Eine der Autorinnen stieß beim Aktenstudium auf den Namen eines weitläufigen Verwandten. Er hatte als Arzt in Vernichtungslagern Todesspritzen gesetzt. Eine andere stellt zum Schluss ihres Beitrags die Frage, wie der Massenmord die Menschheit verändert hat und meint: gar nicht. Andere fragen sich selbst, ob es ihnen gelungen wäre, sich einem Mordbefehl der Diktatur zu verweigern. Als kürzestmögliche Zusammenfassung taugt der Satz: „Unbeeindruckt ist keiner zurückgefahren.“

Verdrängen wäre leichter, aber falsch

Nicht einmal rechtsradikale Jugendliche, die abends im Hotel die deutsche Nationalhymne sangen. „Da treibt es dir schon Schauer über den Rücken“, sagt Häberlein. Er hält die Reisen mit Rechten dennoch für sinnvoll, „auch wenn dadurch keiner vom Saulus zum Paulus wird“. Es gilt eben: Unbeeindruckt blieb keiner. Häberlein bekennt sogar, dass er sich bei seiner dritten Reise selbst einzureden versuchte, dass alles, was er sah, „eine Erfindung der Amerikaner war, ich war davon überzeugt“.

Aber das Lachen verlernt er trotzdem nie

Der Herausgeber spricht auch solche Sätze mit einem frohgemuten Lächeln. Der Mann mit dem Schnauzer und dem blau karierten Hemd ist kein bedrückter Weltverbesserer. Bei seiner Buchpräsentation lacht er nahezu ununterbrochen. Er duzt so gut wie jeden, gleich ob ehemalige Mitreisende, Mitarbeiter oder Vorgesetzte.

Er will nicht sich selbst geißeln für die Vergangenheit der Deutschen, auch keinen anderen . Nach seinen stets einwöchigen Auseinandersetzungen mit dem Grauen und Gräuel ist er „mittlerweile ganz ruhig“. Ob dies der Grund ist, aus dem er immer wieder zurückkehrte und weiterhin zurückkehren will, vermag er nicht zu sagen. Fest steht allerdings: Er ist nicht der einzige. 500 Menschen hat er auf seinen Reisen begleitet. Etliche von ihnen haben Auschwitz mindestens ein weiteres Mal besucht. Noch einmal 500 weitere haben wiederum sie dabei begleitet.

Bezug:

„Reisen nach Auschwitz“ bietet Buch und Musik an der Büchsenstraße 36 an. (www.ejw-buch.de)