Als Achtjähriger hat der beliebte Komiker, Schauspieler und Moderator den Selbstmord seiner Mutter erlebt. Jetzt hat er ein Buch darüber geschrieben: Es wirkt wie ein Befreiungsschlag.

Stuttgart - Er ist acht Jahre alt, als sich seine Mutter von ihm verabschiedet. Sie sitzen auf der Coach und schauen fern. Irgendwann, es ist noch gar nicht so spät, steht seine Mutter auf und verschwindet im Bad. Als sie zurückkommt, sagt sie, sie lege sich jetzt schlafen. Er dürfe aber gerne noch fernsehen, solange er wolle.

 

Sie geht ohne Kuss und ohne Umarmung. Und vielleicht ahnt Hape Kerkeling da schon, dass gleich etwas passiert, was er sich schon nachts in seinen schlimmsten Träumen ausgemalt hat. Seiner Mutter geht es schon lange nicht mehr gut. Sie ist nur noch ein Schatten ihrer selbst, seit ihre eigene Mutter plötzlich zum Pflegefall wurde und starb. Aber sie selber kann nicht benennen, was ihr fehlt. Und in den siebziger Jahren redet man nur hinter hervorgehaltener Hand über ihre Krankheit. Sie leidet an Depressionen.

Margret Kerkeling hat an jenem Abend im Sommer 1973 eine Überdosis Schlaftabletten geschluckt. Es ist das dunkle Geheimnis der Familie Kerkeling. Der Suizid der Mutter. Von einem Hirnschlag redete die Familie damals. Eine Notlüge, damit die  Tote ein normales Begräbnis auf dem Friedhof bekam – ein Recht, das die katholische Kirche Selbstmördern 1973 noch vorenthielt. So kann man es nachlesen im neuen Buch von Hape Kerkeling.

Schon zu Lebzeiten eine Legende

Es heißt „Der Junge muss an die frische Luft. Meine Kindheit und ich.“ Und es gibt eine Antwort auf die Frage, wie er zu dem geworden ist, was er ist. Einer der größten deutschen Komiker der Nachkriegszeit. Ein Humorist in der Tradition von Loriot. Eine Legende schon zu Lebzeiten. Es ist die Geschichte eines unglücklichen Jungen, der zum Clown wurde, um seine psychisch kranke Mutter aufzuheitern. Als Imitator von Cindy & Bert habe er angefangen, schreibt Kerkeling in seinem Buch. Ein Kochlöffel, das sei sein Mikro gewesen.

Er hat nicht verhindern können, dass seine Mutter sich das Leben nahm. Das ist sein Trauma. Er war bei ihr, als sie in dieser Nacht im Sommer 1973 nicht mehr aufwachte. Er hat sie angeschrien. Er hat versucht, sie wach zu rütteln. Aber sie reagierte nicht mehr. Und da hat er etwas getan, was er sich nie verziehen hat. Statt die Polizei zu rufen, hat er sich zu seiner Mutter ins Bett gelegt und gebetet, dass es nur ein Albtraum war, der wieder vorbeiging.

Es ist keine ungewöhnliche Reaktion. Psychologen kennen dieses Phänomen. Man nennt es „katatonische Starre“. Und heute, im Abstand von 42 Jahren, kann Hape Kerkeling sich auch selber verstehen. Im Interview mit dem Magazin „Stern“ hat er jetzt gesagt: „Das war das Schrecklichste, was mir in meinem Leben widerfahren ist. Das war traumatisch.“ Schuldgefühle. Gewissensbisse. Wut über eine gestohlene Kindheit. Er hat diese Gefühle lange mit sich herumgeschleppt.

Ein bisschen hat man es geahnt

Sie sind die Triebfeder des Komikers Hape Kerkeling, der 1964 im Ruhrpott als Hans-Peter zur Welt kommt. Ein Name, von dem er sagt, er habe nicht unbedingt nach einer Karriere im Showgeschäft geschrien. „So heißen bestenfalls unfähige Innenminister.“ Ja, wer ihn sehe, der müsse sich doch fragen: „Hey, dieser gemütliche, tapsige Typ passt doch nicht ins grelle Lampenlicht!?“ Die branchenübliche Koketterie? Schon klar. Doch dass es einen Zusammenhang zwischen dem frühen Tod der Mutter und seiner Karriere als Komiker gibt, daraus hat er nie ein Geheimnis gemacht. Und ein bisschen hat man es vielleicht auch geahnt.

Eine gewisse Traurigkeit umweht alle seine Figuren. Sympathisch-verschrobene Gestalten, wie er sie schon als Kind beobachtet hat, als er noch ganze Tage im Tante-Emma-Laden seiner Oma verbracht hat.

Da ist Hannilein, dieses vorlaute Vorschulkind mit Pumuckl-Frisur, das immer sagt, was es denkt – ein Alter Ego des Komikers. Da sind diese herrlich aufgebrezelten Stammkundinnen seiner Oma, denen er später mit Frauenfiguren wie der Uschi Blum ein Denkmal gesetzt hat. Und da ist Horst Schlämmer, dieser notorische Charmeur, dieser Albtraum von einem Lokalreporter, der die deutsche Sprache um so schöne Redewendungen wie „Schab Kreislauf“ bereichert hat. Tragik und Komik, das sind nun mal zwei Seiten einer Medaille, und es zeichnet alle großen Komiker aus, dass sie diese Fallhöhe mit traumwandlerischer Sicherheit ausloten.

Seinen Frieden hat er nicht gefunden

Die Bühne als Therapie? Das klingt klischeehaft. Beinahe zu platt, um wahr zu sein. Und doch trifft es in seinem Fall zu. In seinem Buch schreibt er, es sei kein Zufall gewesen, dass es ihn nach dem Abitur zum Fernsehen zog. „Nach Herzenslust habe ich mich wie ein unbeschwertes Kind austoben dürfen, und das Publikum hat mich großmütig gewähren lassen.“

Heute ist Kerkeling noch immer Deutschlands beliebtester Komiker. Er hat alle wichtigen Preise gewonnen. Aber seinen Frieden fand er nicht. Das ahnt man, wenn er schreibt, dass ihn das Trauma des Selbstmordes seiner Mutter auch Jahrzehnte später immer noch einholte.

Zuletzt 2007. Da begegnete er dem von ihm verehrten Dalai Lama bei einer Medienpreisverleihung in Leipzig. Seine Heiligkeit redet über den Tod und davon, dass es kein schlimmeres Erlebnis im Leben eines Kindes gäbe als den Verlust der Mutter. Der Dala Lama konnte nicht ahnen, was er mit diesen Worten anrichten würde. Da war es wieder, das Trauma. Der dunkle Fleck. Kerkeling schreibt, er habe nur mit Mühe die Tränen zurückhalten können. Später sei er im Supermarkt an der Kasse weinend zusammengebrochen.

Wanderung auf dem Jakobsweg

Schreiben als Therapie. Das Timing für das Buch ist günstig. Im Dezember wird der Entertainer fünfzig. Und viele haben sich vielleicht schon gefragt: Was macht eigentlich Hape Kerkeling?

Er hätte „Wetten, dass . . ?“ moderieren können, Deutschlands größte Samstagabendshow. Er wollte nicht. Er hat Nein gesagt. Und er konnte sich diesen Luxus leisten. Denn finanziell hat er längst ausgesorgt. Gerade verfilmt die Ufa sein Buch „Ich bin dann mal weg“. Sein erstes Buch, 2006 erschienen und gleich auf Anhieb ein Bestseller. Eine heiter-melancholische Reflexion über sein Burn-out im Fernsehen, und darüber, wie er es überwand und sich selber wiederfand, auf einer Wanderung über den Jakobsweg. Die Hauptrolle spielt Devid Striesow.

Wo aber steckt Kerkeling? Er lebt jetzt abwechselnd in Berlin und in Italien, irgendwo auf dem Land. Der „Stern“ hat ihn dort zum Interview getroffen. Von neuen Plänen fürs Fernsehen ist nicht die Rede.

Der Mutter gewidmet

In seinem Buch schreibt er, dass er es kaum glauben könne, dass er in „dieser durchaus auch kaputten Branche halbwegs heil geblieben“ sei. „Ein Wunder, dass ich nicht tatsächlich so aussehe wie Horst Schlämmer.“ So klingt einer, der mit dem Medium abgeschlossen hat. Seine Figuren haben ihn gerettet, aber vielleicht hat ihm erst das Buch geholfen, mit der Vergangenheit abzuschließen. Gewidmet hat er es Margret. „Meiner Mutter.“