Die beiden Stadtführer Herbert Medek und Andrea Nuding stellen in ihrem Buch „Heusteig, Gerber, Bohnenviertel“ 14 Quartiere in Stuttgarts Zentrum vor. Mit ihrer virtuellen Führung durch Geschichte und Gegenwart verleihen sie der Stadt Tiefe.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Bei seinen Stadtführungen sei er oft gefragt worden, erzählt der Autor Herbert Medek, ob es denn nicht ein Buch gebe, in dem man all die wunderbaren Geschichten, Anekdoten und historischen Tatsachen nachlesen könne, mit denen Medek gerade die Spaziergänger unterhalten habe. Nein, musste der Führer dann sagen, das müsse er erst noch schreiben.

 

Seit wenigen Tagen braucht Medek die Fangemeinde nicht mehr zu enttäuschen, das Buch liegt vor: „Heusteig, Gerber, Bohnenviertel – Stuttgarts Innenstadt-Quartiere“ heißt es, und es beschreibt auf 300 Seiten und mit 264 Fotos die Geschichte und Gegenwart von 14 Vierteln der Stuttgarter Innenstadt. Andrea Nuding, Fotografin und selbst kundige Stadtführerin, hat alle Bilder extra für den Band gemacht und einige Porträts geschrieben. Medek, der Leiter der kommunalen Denkmalschutzbehörde und wandelndes Stuttgart-Lexikon, hat die Texte übernommen.

Was machte Arnold Schwarzenegger im Wulle-Saal?

Und nach dem Lesen muss man sagen: Es ist Zeit geworden, dass Medek und Nuding ihr Wissen schriftlich niedergelegt haben. Denn wie bei den Führungen gelingt den beiden auch im Buch eine gute Mischung aus historisch exakten Daten, unterhaltsamen Anekdoten und dem Skizzieren neuer Entwicklungen im Viertel. Das macht das Buch besonders. Zudem ist alles so kompakt, dass es Platz für viele Aspekte gibt, weshalb man das Buch fast als Kompendium nutzen könnte, wenn nicht das Register fehlen würde. Und da wir bei den Mankos sind: Schmerzlich vermisst man detaillierte Karten der Viertel mit Einträgen zu den Sehenswürdigkeiten.

Jedes Kapitel beginnt mit einer historischen Einführung in das Quartier, dann werden wie bei einem Gang durch das Viertel interessante Gebäude, Plätze, Brunnen, Denkmäler und Inschriften in aller Kürze vorgestellt. Oft werden die Beschreibungen mit amüsanten, aber sauber recherchierten Fakten gewürzt. Was hat es mit dem Silberglöckle auf der Stiftskirche auf sich? War die Stitzenburg wirklich eine Burg? Und was hat der österreichische Deserteur Arnold Schwarzenegger 1965 im Wulle-Saal gemacht? Auch neueste Gebäude werden in die Betrachtung einbezogen, so der erst begonnene Bau der John-Cranko-Schule. Es werden Einrichtungen wie die Domsingschule, das Wortkino oder die Verbindung Vitruvia vorgestellt. Und es gibt zwei Dutzend Bild- und Textporträts von Menschen, die typisch sind für ihr Viertel. So ist ein Buch entstanden, das die lebendige und manchmal durchaus nicht unproblematische Gegenwart mit der Geschichte verknüpft. Solche Bücher sind es, die einer Stadt Tiefe verleihen.

Nur ein Beispiel: Die Willy-Brandt-Straße, die bis 1993 Neckarstraße hieß, war früher ein Villenviertel mit wunderschönen Häusern. „Damals schätzte man es noch, neben der Straße zu wohnen“, so Herbert Medek. Das kann man sich heute nicht mehr vorstellen – schließlich ist die Straße in Sachen Feinstaub zum dreckigsten Ort Deutschlands avanciert. Tempora mutantur – so wandeln sich die Zeiten!

Und warum hieß der Galgen in Stuttgart „Käs“?

Aber jetzt noch schnell zur Auflösung der drei vorher aufgeworfenen Fragen. Das Läuten des Silberglöckle auf der Stiftskirche soll im 16. Jahrhundert die Tochter von Herzog Friedrich I. gerettet haben, die sich im Wald verirrt hatte – so läutet die Glocke noch heute abends allen Verlorenen nach. Die Stitzenburg war ein Landhaus, das sich der Hofkammerrat Johann Daniel Grüneisen 1770 bauen ließ; später wurde es ein sehr beliebtes Ausflugslokal. Und Arnold Schwarzenegger ist im Jahr 1965 vorübergehend aus der Armee desertiert, weil er unbedingt bei den internationalen Herbstmeisterschaften der Bodybuilder im Wulle-Saal dabei sein wollte. Er gewann den Wettbewerb – und erhielt 14 Tage Arrest.

Wer nun glaubt, damit seien die schönsten Geschichten des Buches aufgelöst, irrt. Es gibt noch vieles zu entdecken. Wer kennt den verschwundenen Lazarettfriedhof im Leonhardsviertel? Warum hieß die Hinrichtungstätte auf dem Wilhelmsplatz im Volksmund der „Käs“? Und wo versteckt sich in Stuttgart der älteste – und vielleicht schönste – Blitzableiter Württembergs, der sogar unter Denkmalschutz steht?

Literaturangabe:
Herbert Medek und Andrea Nuding: Heusteig, Gerber, Bohnenviertel – Stuttgarts Innenstadt-Quartiere. Silberburg-Verlag, 300 S., 29,90 Euro.