Im Literaturhaus ist das Buch „Architekturstadt Stuttgart“ mit Texten aus der Stuttgarter Zeitung präsentiert worden. Beim Publikum stößt es auf großes Interesse.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Ein ausverkauftes Stuttgarter Literaturhaus – aber diesmal nicht wegen Walser, Hahn oder Trojanow, sondern wegen „Architekturstadt Stuttgart“, dem von der StZ-Redakteurin Amber Sayah herausgegebenen Buch im Belser Verlag. 200 interessierte Zuhörer fanden Platz im großen Saal. Bei den vielen anderen, die unverrichteter Dinge wieder abziehen mussten, heißt es an dieser Stelle herzlich um Nachsicht bitten. Die Meldung, dass der Abend schon im Voraus ausverkauft war, erreichte das StZ-Kulturressort erst wenige Stunden vor Beginn; da war es für Vorwarnungen im Blatt zu spät.

 

„Bauten – Debatten – Visionen“ lautet der Untertitel des Bandes. Im ersten Teil des Abends stellten Amber Sayah und der Belser-Lektor Dirk Zimmermann dieses Konzept mit Bild und Text vor. „Architekturstadt Stuttgart“ bietet anhand vieler Beiträge aus der Stuttgarter Zeitung nicht nur einen Überblick über Streitfragen jüngerer Zeit wie die Zukunft des Hauptbahnhofs, sondern auch Debattenbeiträge namhafter Architekten zur Zukunft der Stadt sowie viele Beispiele gelungener neuer Bauten in der Region – ein Panorama, das hervorragend das Motto des Abends belegte: „Es gibt viel gute Architektur in Stuttgart, aber die Stadt insgesamt ist architektonisch in schlechter Verfassung.“

Diese Worte stammen vom Architekten Arno Lederer, der mit Sayah im zweiten Teil eine überaus muntere und streitbare Debatte führte. Darin kritisierte der Architekt nicht nur die fehlende „Kultur öffentlicher Plätze“ und die Vernachlässigung vieler Außenbezirke Stuttgarts. Lederer vermisst zudem die niveauvolle Gesamtschau: „Es fehlt hier völlig eine Übereinkunft, was eine gute Stadt sein könnte.“

Mittelständische Bauherren bekämen auch eine Chance

Weiterhin überlasse die Politik den Bauinvestoren große Flächen, statt wie in anderen Städten auf kleinteilige Parzellierung zu achten: „Dabei bekäme man so nicht nur eine vielfältigere Bebauung, sondern würde auch einem ganz anderen Kreis von mittelständischen Bauherrn das Engagement ermöglichen.“ Wichtig sei außerdem, wieder größere Stadträume als Ganzes zu sehen. „Schauen Sie mal von der Kulturmeile in Richtung Kunstmuseum – einer der schönsten städtischen Räume, die ich kenne. Wenn man ihn denn ließe.“

Auf Amber Sayahs Frage, was in all diesen Fragen die Architekturkritik eigentlich leisten könne, meinte Lederer lächelnd: „Erst mal wird jeder Architekt eine Kritik seiner Bauten ängstlich und mit angespannten Gesäßmuskeln lesen; da fühlen wir doch wie wahrscheinlich alle Künstler.“ Aber natürlich trage gute, nachvollziehbare Architekturkritik enorm zur Geschmacksbildung beim Publikum bei. Und deshalb brauche man noch viel mehr davon: „Vergleichen Sie mal, wie viele Rezensionen von Autos und wie viele Kritiken neuer Gebäude in den Zeitungen stehen. Die Leute verstehen leider mehr von schicken Monitoren im BMW oder Mercedes als von der Qualität neuer Häuser in ihrer Nachbarschaft.“ Auch für dieses Urteil gab es viel Beifall im Stuttgarter Literaturhaus.

Amber Sayah (Hg.): Architekturstadt Stuttgart. Bauten – Debatten – Visionen. Belser Verlag, Stuttgart. 160 Seiten, 29,95 Euro.