Von Matthias Döpfner bis Roger Willemsen: in der Tübinger Mediendozentur denken prominente Journalisten über die Zukunft des Journalismus nach. Ein Sammelband vereint die Vorträge. Doch nicht alle können das Reflexionsniveau halten.

Stuttgart - Lügenpresse. Dieser Vorwurf trifft die Vertreter der etablierten Medien hart. Zuvorderst natürlich deshalb, weil er ungerecht ist. Zum einen schert der Kampfbegriff alle Medien, vom TV-Boulevardmagazin bis zum intellektuellen Wochenblatt, über einen Kamm. Zum anderen wird man das Gefühl nicht los, einigen der lautstärksten Kritikern ist weniger an einer fairen Berichterstattung gelegen als daran, dass die Medien ihrer eigenen Sicht auf die Welt voll und uneingeschränkt zustimmen. Die vehemente Medienkritik, im Verein mit der ökonomischen Krise vor allem der Printmedien, hat aber auch etwas Gutes. Sie führt dazu, dass Journalisten wieder intensiver über ihr Selbstverständnis und ihre Rolle in der Gesellschaft nachdenken.

 

Sie tun das zum Beispiel an der Universität Tübingen. In der dortigen Mediendozentur, in Zusammenarbeit mit dem SWR, sind in den letzten Jahren einige der wichtigsten Vertreter der Medienzunft zu Wort gekommen. Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft, und Andreas Narr, Leiter des SWR-Studios in Tübingen, haben nun diese „Reden zur Zukunft des Journalismus“ in Buchform herausgegeben.

Journalismus ist ein Beruf, den man kaputt reden kann

Das Buch soll Mut machen und die Medienbranche aus ihrer Weltuntergangsstimmung reißen. „Der selbstreflexive Negativismus der Zeitungsbranche hat ein Ausmaß erreicht, das die Stimmung vergiftet – und bei aller berechtigten Krisenrhetorik doch vergessen lässt: Journalismus ist ein Beruf, dem man auch kaputt reden kann“, schreibt Pörksen in seinem Vorwort. Man müsse sich fragen, warum die Schwierigkeiten des relativ kleinen Suhrkamp-Verlages die Intellektuellen des Landes zu überbordenden Solidaritätsadressen veranlasst hätten; die Probleme der Qualitätszeitungen sie aber kalt ließen. Dies verwundere umso mehr, als Qualitätszeitungen noch immer die einzigen Diskurszentren seien, „die mit dieser besonderen Mischung aus Schärfe und Entschiedenheit intellektuelles Agenda-Setting betreiben.“

Die schärfste Analyse dazu liefert ausgerechnet ein zum Verlagsmanager mutierter ehemaliger Journalist. Matthias Döpfner, der Vorstandschef des Axel-Springer-Verlags, sagte in Tübingen unter dem Titel „Abschied vom Pessimismus“ in seinem Vortrag: „Bei allem Freiheitsdrang, bei aller Befriedigung auf einem Billionen-Berg an Daten zu sitzen, das Bedürfnis, qualifiziert informiert zu werden und von Experten recherchierte und aufgeschriebene Geschichten zu lesen, besteht seit Jahrhunderten, ist verlässlich und wird bleiben.“ Was jedoch sicherlich voraussetzt, dass diese Qualitätsinhalte von den Medien auch geliefert werden.

Wenn Medienkritik zur Attitüde verkommt

Zu den seltsamsten Vorwürfen gegen die Medien gehört es, ihnen vorzuhalten, sie interessierten sich nur für Auflagesteigerungen und hohe Klickzahlen. Gleichzeitig wird behauptet, Journalisten seien ein elitärer Haufen, der sich – gesteuert von einer Machtclique aus Politik und Wirtschaft – nicht für die Meinung der Mehrheit der Bevölkerung interessiere. Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“ beschäftigt sich mit diesem Widerspruch. Er beklagt das „permanente Klima der Skandalisierung“ in den Medien, das ja letztlich eine Folge des Kampfes um Aufmerksamkeit ist. Di Lorenzo wünscht sich Journalisten, die „nicht bei jedem kleinen Shitstorm gleich einknicken“, sich zugleich aber trauen, eigene Fehler einzugestehen.

In dem Buch kommen unter anderen der verstorbene FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher, die neue „Wirtschaftswoche“-Chefredakteurin Miriam Meckel und der „Spiegel“-Reporter Cordt Schnibben mit klugen Beiträgen zu Wort. Nicht alle Medienvertreter können das Reflexionsniveau halten. Die „Emma“-Gründerin Alice Schwarzer nutzt ihren selbstgerechten Vortrag, um zunächst kritisches Denken einzufordern und gleich darauf undifferenzierte Attacken gegen kopftuchtragende Muslima zu reiten. Und die Rede des aus dem Fernsehen bekannten Intellektuellen-Darstellers Roger Willemsen lässt sich in dem Satz zusammenfassen: „Das Fernsehen macht dumm – und ich bin klug“, was er mit vielen schönen Zitaten von Michel Foucault bis Pier Paolo Pasolini zu garnieren vermochte.

Willemsens Beitrag ist ein Beispiel dafür, wie Medienkritik zur Attitüde verkommen kann. Seine Verachtung des Fernsehens befriedigt ja selbst nur die Nachfrage einer bestimmten bürgerlichen Klientel, die gerne hören möchte, wie blöd Fernsehen ist – am liebsten von einem Fernseh-Prominenten. „Die schärfsten Kritiker der Elche/waren früher selber welche“, dichtete in diesem Sinne einst der Göppinger Lyriker F. W. Bernstein. Auch Medienkritik muss sich wohl vor allem im Kampf um Aufmerksamkeit behaupten.