Der amerikanische Paläoanthropologe Daniel Lieberman nimmt seine Leser mit Humor auf eine lange Reise: Im Buch „Unser Körper“ beschreibt er, wie der Mensch wurde, was er ist. Und er mahnt: fürs Sitzen und für Fastfood wurde dieser Körper nicht optimiert.

Stuttgart - Irgendwann vor sechs, sieben Millionen Jahren fing die Geschichte an. Da entstand im Zuge der natürlichen Evolution eine Spezies, die sich in einigen Merkmalen des Körperbaus von ihrer äffischen Verwandtschaft abhob. Der jungen Art fiel es leichter, aufrecht zu gehen, auch wenn ihre Kletterkünste nach wie vor beachtlich waren. Und sie erweiterte den Speiseplan. Ernährten sich die Verwandten fast ausschließlich von den Früchten des Waldes, so konnten die Neuen ihren Kalorienbedarf auch durch härtere und weniger ergiebige Pflanzennahrung wie Knollen, Blätter und Stengel decken. Veränderungen von Gebiss und Kaumuskulatur halfen dabei.

 

Es waren bescheidene Anfänge, aber sie markieren den Beginn einer dramatischen Entwicklung, an deren vorläufigem Ende der Mensch steht, der sich selbst gern und recht überheblich als Krone der Schöpfung sieht. Die einstigen Verwandten begegnen uns dagegen heute als Schimpansen und Gorillas – ein Höhepunkt jedes Zoobesuchs. Sie sind es auch, die der Wissenschaft Anschauungsmaterial liefern, anhand dessen sich Verhalten und Lebensweise der gemeinsamen Vorfahren rekonstruieren lassen, aber eben auch der Sonderweg, den die genetisch ihnen so nahen „Menschen-Affen“ eingeschlagen haben.

Der amerikanische Paläoanthropologe Daniel E. Lieberman zeichnet diese Evolutionsgeschichte in seinem großen Werk „Unser Körper“ akribisch und gewürzt mit vielen humorvollen Anmerkungen nach. Er beschreibt, wie aus affenähnlichen Wesen menschenähnliche wurden, wie den Australopithezinen der Homo erectus folgte und wie schließlich der Homo sapiens mit seinen verschiedenen Spielarten – etwa als Neandertaler – auf den Plan trat, bis am Ende, einige zehntausend Jahre ist das „erst“ her, der moderne Mensch die Erde erobert hatte.

Fleischliche Kost war die Grundlage für mehr Fitness

Selektion und Anpassung waren die bestimmenden Kräfte. Die Spezies Mensch war letztlich die Antwort der Natur auf einen globalen Klimawandel, der zu einer Abkühlung und mehr Trockenheit in der afrikanischen Urheimat führte, der Wälder schrumpfen sowie Savannen und Buschgelände wachsen ließ. Der aufrecht gehende „Menschen-Affe“ war auf seiner Nahrungssuche der neuen Situation besser gewachsen als seine auf die Waldfrüchte angewiesenen Verwandten. Und Körperbau und Muskulatur passten sich allmählich den veränderten Bedingungen weiter an. Als der Pflanzenesser, der sich manchmal ergänzend an Aas labte, auch zum Jäger wurde, gewann er besonders hochwertige Fleischnahrung dazu, was nicht nur seine Fitness stärkte, sondern auch das Wachstum seines Gehirns beförderte. Die höhere Intelligenz wiederum machte die Jagd ertragreicher und stärkte den Gemeinsinn, konnte man doch als Gruppe erfolgreicher agieren. Voraussetzung dafür aber war Kommunikation: Sprache entstand.

Der Körper des modernen Menschen, so Liebermans These, ist das Produkt einer Millionen von Jahren währenden Evolution, die ihn zum Dasein als Jäger und Sammler prädestiniert. Er ist, physisch gesehen, ein begnadeter Ausdauerläufer, der es wegen seiner Durchhaltefähigkeit sogar mit erheblich schnelleren Tieren als Beute aufnehmen kann. Und er ist gerüstet, das Leben in den verschiedensten Klimazonen der Welt zu meistern, die er ja auch besiedelt hat – zunächst als Jäger und Sammler und dann, nach einer weiteren Kulturrevolution, als Bauer.

Der Autor ist kein moralinsaurer Eiferer, sondern Realist

Zugespitzt lässt sich also sagen: Wir leben in einem gut funktionierenden Steinzeitkörper, der sich aber im Hier und Heute behaupten muss. Die Gegenwart hat jedoch mit der Urheimat, für die ihn die Evolution optimiert hat, wenig zu tun. Der Harvard-Professor Lieberman ist weit entfernt davon, einen nostalgischen Lobgesang auf angeblich paradiesische Zustände in der Jäger- und Sammlergesellschaft zu singen. Er will vielmehr auf gewisse Schattenseiten des zivilisatorischen Fortschrittes hinweisen.

Seine Hauptsorge richtet sich auf das, was man auch Wohlstandskrankheiten nennen könnte: zunehmende Fettleibigkeit, chronische Rückenschmerzen, Ausbreitung von Diabetes und anderer Plagen. Falsche Ernährung und mangelnde Bewegung – Lieberman macht an diesen Punkten fest, dass der Homo sapiens der Gegenwart seinen Körper wider alle Vernunft misshandelt, von Alkohol- und Nikotinmissbrauch ganz zu schweigen. Ist der Mensch als Dauerläufer konzipiert, muss er sich bewegen, statt vorwiegend zu sitzen. Ist er auf vielfältige und ballaststoffreiche Nahrung angewiesen, malträtiert er sich, wenn er sich mit einseitiger Fastfood-Ernährung begnügt.

Lieberman leugnet nicht, dass die Medizin viele Krankheiten in den Griff bekommen hat, die früher Millionen dahin gerafft haben. Und er streitet mitnichten ab, dass die Lebenserwartung zunimmt, also Fortschritt spürbar ist. Aber er warnt davor, immer nur an Symptomen körperlicher Beschwerden herumzukurieren statt die Ursachen in Blick zu nehmen. Und die sieht er bei vielen sich ausbreitenden chronischen Gebrechen in einer Lebensweise, die geradezu einen Bruch mit der evolutionären Geschichte des Menschen bedeutet. Sein Buch „Unser Körper“ ist ein ebenso spannender wie aufschlussreicher Band, der sich auch dadurch auszeichnet, dass Lieberman mit seinen Mahnungen nicht als moralinsaurer Eiferer daherkommt, sondern als humorvoller Realist. Und ein solcher weiß halt, dass der Mensch allemal ein Sünder ist.

Daniel E. Lieberman:
„ Unser Körper. Geschichte, Gegenwart, Zukunft“. S. Fischer Verlag, Frankfurt. 544 Seiten. 24,99 Euro.