Wenn Wissenschaftler für ein Projekt große Mengen Daten brauchen, greifen sie gerne auf freiwillige Helfer zurück. Und die gibt es zahlreich: Citizen Scientists nennen sie sich, und sie helfen etwa beim Vogelbeobachten, Mückensammeln oder Gemälde-Taggen.

Stuttgart - Sie fangen asiatische Buschmücken, suchen Hirschkäfer, halten Ausschau nach Mauerseglern und zählen Pinguine. Sie untersuchen die Oberfläche des Mondes, erkunden den Mars und gehen der Entstehung von Galaxien auf den Grund. Die meisten von ihnen verfügen über kein fachspezifisches Wissen und sind keine ausgebildeten Forscher: Sie nennen sich Citizen Scientists – Laien, die Forschung als Hobby betreiben und damit ihren Beitrag zur Wissenschaft leisten.

 

Christopher Kyba gehört zu den Wissenschaftlern, die auf die Hilfe der Hobbyforscher angewiesen sind. Kyba arbeitet beim Deutschen Geoforschungs-Zentrum und untersucht die Lichtverschmutzung des Himmels. Dabei ist er auf große Datenmengen angewiesen: „Mit den vielen Daten, die die Citizen Scientists sammeln, können wir viel genauere Aussagen treffen“, so Kyba. Die Daten können Smartphone-Nutzer mit der „Verlust der Nacht“-App übermitteln. Hierzu wird von einem beliebigen Standort aus der Himmel fotografiert. Das Foto wird dann automatisch per App an das Forscherteam um Kyba weitergeleitet.

Kybas Projekt ist eine der erfolgreichsten in Deutschland und auch auf der Online-Plattform www.buergerschaffenwissen.de aufgelistet. Dort bieten viele andere Forschungsinstitute Hobbyforschern die Möglichkeit, an den unterschiedlichsten Projekten teilzunehmen – vier der interessantesten Projekte stellen wir vor.

Die Plattform ist seit einem Jahr online, und Wiebke Volkmann von der Initiative „Bürger schaffen Wissen“ zieht eine positive Zwischenbilanz: „Wir haben bisher 43 Projekte online, und in regelmäßigen Abständen erreichen uns immer wieder neue Anfragen.“

Wissenschaft und Wissensgesellschaft

Weil die Nachfrage vieler Wissenschaftler nach engagierten Hobbyforschern so groß ist, sprechen Wissenschaftstheoretiker wie Peter Finke von einer Annäherung zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit. In seinem Buch „Citizen Science – Das unterschätzte Wissen der Laien“ (Oekom Verlag) plädiert der emeritierte Professor für eine Förderung der Citizen Science, um das lebendige Wechselspiel zwischen der Wissenschaft und der „freien, demokratischen Basis“ der Wissensgesellschaft zu festigen.

In den USA ist diese Basis schon ausgereift. Dort gibt es die Online-Plattform „Zooniverse“, auf der inzwischen mehr als 1,3 Millionen Menschen an wissenschaftlichen Projekten teilnehmen. Auch hier sammeln Hobbyforscher für die Wissenschaftler große Datenmengen, die ein kleines Team an Profiforschern nicht stemmen könnte. Das reicht vom Kennzeichnen alter Tagebücher aus dem Ersten Weltkrieg bis hin zur Untersuchung von Explosionen auf der Sonne. Jedes Projekt verfügt über eine kurze, interaktive Anleitung, in der man das Handwerk erlernt und sofort loslegen kann. Insbesondere bei Astronomie-Projekten haben die Citizen Scientists schon echte Entdeckungen gemacht.

Beobachten ja, Experimente nein

Auch Günter Stock, Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, sieht die Citizen Science als eine Chance, um neue Wege in der Wissenschaft zu gehen – jedoch nur, solange sie eine „beobachtende Wissenschaft“ bleibe. „Bei Experimenten, die einen bestimmten Forschungs- und Sicherheitsstandard erfordern, bin ich dagegen“, sagte Stock in einem Videointerview. In diesem Fall setzten sich die Hobbyforscher einer zu großen Gefahr aus.

Standards und Strukturen – das fehlt der Citizen Science noch. Die Bürger-schaffen-Wissen-Initiative organisiert deshalb am 4. Mai in Hamburg ein Dialogforum, bei dem Projektinitiatoren und Hobbyforscher die Zukunft ihrer Wissenschaft gestalten sollen. Wiebke Volkmann will auch den Austausch verbessern: „Wir wollen eine Geben-und-nehmen-Kultur.“ Im Gegenzug für die Datensammlung sollten die Hobbyforscher in Zukunft für ihre Arbeit belohnt werden, so Volkmann. Zum Beispiel, indem sie Einsicht in den Forschungsprozess bekommen und vielleicht sogar mal ein größere Forschungsprojekt selbst vorschlagen dürfen.

Entdeckungen der Citizen Scientists

Gelbe Bälle
Beim sogenannten „Milky Way Project“ der Nasa kategorisieren Citizen Scientists Bilder des Spitzer-Weltraumteleskops. Sie helfen den Wissenschaftlern, die Entstehung der Sterne besser zu verstehen. Dabei entdeckten Citizen Scientists sogenannte „gelbe Bälle“, die die Sterne in einer Art Embryo-Zustand darstellen. Forscher sind sich sicher, dass die gelben Bälle die bisher fehlende Verbindung zwischen dem noch formlosen Urzustand und den fast ausgereiften Sternen sind.

Hannys Objekt
Im Jahre 2007 entdeckte die niederländische Lehrerin Hanny van Arkel im Citizen-Science-Projekt „Galaxy Zoo“ auf Satellitenbildern ein unbekanntes, grün leuchtendes Objekt im Sternbild Löwe. Durch die Kollision mit einem Gasstrom aus der Spiralgalaxie IC 2497 bildet sich in dem nach seiner Entdeckerin benannten Gebilde ein Sternenentstehungsgebiet heraus.

Projekt: Verlust der Nacht

In der Stadt lässt sich schlechter Sterne zählen als auf dem Land. Das liegt an der sogenannten Lichtverschmutzung, die Forscher mit der „Verlust der Nacht“-App untersuchen wollen. Vor allem in Großstädten wird das Licht aufgrund von Schwebstaub und Nebeltröpfchen in der Luft sowie durch die Reflexion an Schichten der Atmosphäre gestreut. Dies führt nicht nur dazu, dass die Sicht auf den Sternenhimmel behindert wird. Es hat auch ökologische Konsequenzen: Der Wachstumszyklus der Pflanzen wird beeinflusst und die Orientierung der Zugvögel gestört.

Citizen Scientists sollen mit der „Verlust der Nacht“-App die Lichtverschmutzung messen. Dabei wird mit dem Smartphone der Nachthimmel fotografiert; damit es die Sterne erkennen kann, braucht das Handy jedoch einen eingebauten Kompass. Das Bild schickt man dann per App an das Forscherteam um Christopher Kyba. Bisher wurden fast 20 000 Bilder gesammelt. „Im Herbst planen wir unsere  erste wissenschaftliche Veröffentlichung“, sagt Kyba. Wer sich bis dahin nicht gedulden kann, bekommt von der App automatisch individuelle Informationen zum Nachthimmel anhand des geknipsten Bildes. Die App gibt es kostenlos im App Store.

Projekt: Mückenatlas

Über Stechmücken weiß man eigentlich nur eines: sie summen und stechen. Auf der Welt gibt es ungefähr 3500 Mückenarten, von denen 50 in Deutschland bekannt sind. Lange wurde die Mückenforschung in Deutschland vernachlässigt, obwohl die fliegenden Insekten mit dem Saugrüssel als gefährliche Virusträger gelten. In Deutschland gibt es zwar keinen Grund zu Panik, aber in wärmeren Ländern Europas ist es   schon zu Krankheitsübertragungen durch Stechmücken gekommen.

Um mehr über die Mücken hierzulande zu erfahren, ruft das Citizen-Science-Projekt „Mückenatlas“, das vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung und dem Friedrich-Loeffler-Institut initiiert wurde, die Bürger dazu auf, Mücken einzufangen und einzuschicken. Hierzu benötigen die Forscher „intakte“ Mücken. Zum Einfangen benutzt man am besten eine Streichholzschachtel oder eine Filmdose. Anschließend muss das Insekt abgetötet werden. Dazu kommt es für einen Tag in das Gefrierfach. Mit einem Formular, das man auf „www.mueckenatlas.de“ findet, wird die Mücke in einem Umschlag an die auf der Homepage angegebene Adresse verschickt. Als Belohnung kommt der Name der Mückenjäger auf die Online-Einsendungsliste.

Projekt: Artigo

„Artigo“ gehört zu den wenigen geisteswissenschaftlichen Citizen-Science-Projekten in Deutschland. Bei dem Projekt geht es darum, Gemälde mit so vielen Schlagwörtern wie möglich zu kennzeichnen, was man gemeinhin taggen nennt. Artigo ist als Spiel konzipiert. Im Duell auf www.artigo.de hat man gegen einen anderen Mitspieler 60 Sekunden Zeit, Schlagwörter, die einem zu einem Gemälde einfallen, in ein Eingabefeld einzutippen. Wenn es zu einem „match“ kommt, also beide Spieler das gleiche Wort eintippen, gibt es Punkte. Wer sich registriert, kann gegen mehr als 10 000 Benutzer spielen und durch Punktesammeln in der Bestenliste aufsteigen.

Der Forschung dient das Projekt eher als Vorbereitung. „Die Schlagwörter können impliziten Aufschluss über die Natur der Tagger geben“, so Hubertus Kohle, Dekan der Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Leiter des „Artigo“-Projekts. Interessant könne dabei sein, wie „unterschiedlich Europäer, Asiaten, junge und alte Menschen, Frauen und Männer taggen“. Des Weiteren wird auf Grundlage des Tagging eine digitale Datenbank aufgebaut, die die Suche nach Kunstwerken erleichtert.

Projekt: Vogelsichtung

Hobby-Ornithologen aufgepasst! Vom 8. bis zum 10. Mai ist es wieder so weit: Die Tierschutzorganisation Nabu ruft zur elften Auflage der Aktion „Stunde der Gartenvögel“ auf. An drei Tagen werden Vogelinteressierte gebeten, im städtischen Park oder auch nur im eigenen Garten eine Stunde lang Vögel zu zählen. Das kann man entweder handschriftlich per Formular oder aber über die „Nabu Vogelführer“-App, die es kostenlos im App Store gibt. Mit der App lassen sich Vogellisten erstellen, die nach der Zählung digital an den Nabu übermittelt werden können. Ein Pluspunkt der App: viele Vogelarten sind in einer Datenbank aufgelistet. „Falls man nicht sicher ist, welchen Vogel man gerade gesichtet hat, kann man in die App schauen. Dort gibt es genügend Informationen, was die Identifizierung der Vögel erleichtert. Ansonsten gibt es auch einen Vogelführer zum Herunterladen auf unserer Homepage“, so Helge May vom Nabu.

Jährlich sind es an die 40 000 Vogelfreunde, die an der Zählung teilnehmen. Das Ziel der Aktion ist, flächendeckende Erkenntnisse über die Vogelwelt in den Städten und den Dörfern zu sammeln. Der Nabu weist darauf hin, nicht in den Wäldern oder in der Feldflur zu zählen, da nur Siedlungsgebiete von Interesse sind.