Der Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster fühlt sich durch eine Rede seines Tübinger Amtskollegen Boris Palmer diffamiert.

Stuttgart - Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) wehrt sich zwei Wochen nach einer Rede seines Tübinger Amtskollegen Boris Palmer (Grüne) während der 40. Demonstration von Stuttgart 21-Gegnern gegen Anschuldigungen. Palmer, 2004 Gegenkandidat von Schuster bei der OB-Wahl, hatte diesem "Wortbruch und Machtmissbrauch" vorgeworfen. Er habe sich nicht an die Vereinbarung gehalten, sich bei Mehrkosten für Stuttgart 21 für einen Bürgerentscheid starkzumachen. Palmer sagte am Donnerstag, ihm liege der Brief nicht vor.



Schuster teilt mit, er habe gezögert, den Brief zu schreiben, sei aber von Kollegen ermuntert worden. Darin erinnert er an das Gespräch nach dem ersten Wahlgang 2004, in dem Palmer seinen Rückzug ankündigte und Schuster anbot, für diverse Zugeständnisse dessen Wahl zu empfehlen. Eine Forderung bezog sich auf einen Bürgerentscheid. Beiden sei bekannt gewesen, dass der Entscheid über eine Finanzierungsfrage nicht möglich sei, so Schuster. Man habe "über eine Formulierung diskutiert, zu der ich selbstverständlich heute noch stehe". Die Behauptung, er habe Wortbruch begangen, entbehre jeder Grundlage. "Ich finde es befremdlich, dass Sie mich wiederholt in dieser Weise diffamieren", so Schuster.

"Vorwürfe gehen ins Leere"


Auch der Vorwurf des Machtmissbrauchs gehe ins Leere. Die Unterschriftensammlung für ein Bürgerbegehren habe 2007 erst nach dem Abschluss der Finanzierungsverhandlungen begonnen. Die Initiatoren hätten gewusst, "dass das Bürgerbegehren rechtswidrig war". Er habe sich an die Beschlüsse des Gemeinderats gehalten. Schuster meinte, es könne sein, "dass in Tübingen eine andere Rechtsordnung herrscht" und Palmer an Beschlüsse des Gemeinderats sowie an rechtsverbindliche Verträge nicht gebunden wäre.

"Unser freiheitlich demokratisches Gemeinwesen wird künftig nicht mehr zum Wohle aller, vor allem auch von Minderheiten funktionieren, wenn diejenigen recht bekommen, die am lautesten mit Trillerpfeifen auf der Straße demonstrieren. Deshalb habe ich ein grundsätzlich anderes Verständnis von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit wie Sie", betonte Schuster. Er wisse, dass Tübinger Bürger von Palmer enttäuscht seien, habe aber "weder Lust noch Zeit", sich in die Angelegenheiten von Tübingen einzumischen, weil dies "ungehörig und unfair" wäre.

Streit über Kostensteigerung


Palmer hat mehrfach betont, er sei sich mit Schuster 2004 einig gewesen, dass 120 Millionen Euro jene "erheblichen Mehrkosten" wären, die den Stuttgarter OB veranlassen hätten müssen, einen Bürgerentscheid herbeizuführen. Der Betrag basiert auf einer angeblichen Kostensteigerung von 360 Millionen Euro, die die SPD-Kandidatin Ute Kumpf vor der OB-Wahl öffentlich gemacht hatte; die Stadt hätte ein Drittel bezahlen müssen. Im Streitgespräch mit Kumpf nannte Schuster nach der Vereinbarung mit Palmer eine Milliarde Euro als Schallgrenze.

Nachdem im Juli 2007 beschlossen worden war, die Stadt mit 87 Millionen Euro zusätzlich zu belasten, sagte Palmer, dies sei nicht genug für einen Bürgerentscheid. Anders sehe es aus, rechne man den Verzicht auf 212 Millionen Zinsertrag hinzu. Dass Einnahmenverluste nicht anders wirkten als Mehrkosten, nur eben anders hießen, sei im Vertrag nicht definiert gewesen.