Der Verein „Mehr Demokratie“ beklagt, dass Grün-Rot Reformen für mehr Bürgerbeteiligung zu zögernd angeht. Das Bündnis fordert unter anderem eine Absenkung des 25-Prozent- Quorums. Es solle nicht länger jedes zweite Verfahren an Formfragen scheitern.

Stuttgart - Reformen zur Erleichterung von Bürgerentscheiden lassen nach Ansicht des Vereins „Mehr Demokratie“ zu lange auf sich warten. „Im Jahr zwei nach dem Regierungswechsel scheitert immer noch jedes zweite Bürgerbegehren an formalen Hürden“, sagte Reinhard Hackl, der Vorstandssprecher des Vereins, am Freitag in Stuttgart. Viele Bürger wollten sich einbringen, aber es gehe selten um die Kraft der Argumente, statt dessen scheiterten sie an den Fallstricken der Gemeindeordnung.

 

Eines der Probleme sei das 25-Prozent-Quorum. 2012 sind vier von insgesamt 24 Verfahren der Bürgerbeteiligung „unecht gescheitert“, weil zwar die Mehrheit der Bürger für den Vorschlag der Initiativen gestimmt habe, das Quorum aber verfehlt wurde. Das sind laut Hackl 44 Prozent der Begehren. Gäbe es in Baden-Württemberg ein nach Gemeindegröße gestaffeltes Quorum wie in Thüringen, wären drei der vier Begehren gültig gewesen, sagte er. „So hätten die Menschen erlebt, dass sich politische Teilnahme lohnt, statt dessen ist die Gemeindeordnung ein steter Quell der Frustration.“

Sechs Wochen sind zu kurz

Hackl zitierte eine Studie aus der Schweiz: Dort habe man hundert Bürgerentscheide untersucht und festgestellt, dass in 99 Fällen eine zum gleichen Thema durchgeführte repräsentative Umfrage das gleiche Ergebnis erbrachte wie die Abstimmung auf kleinerer Ebene.

Beispiele für weitere Hürden nannte der Landesgeschäftsführer von „Mehr Demokratie“, Christian Büttner. Die Frist von sechs Wochen setze Bürgerinitiativen zu stark unter Druck – zumal politische Gremien in aller Regel einen Informationsvorsprung hätten. Auch dass die Bauleitplanung von Bürgerbegehren ausgeschlossen sein, hält er für einen Stolperstein. „Kommunen haben es in solchen Fällen leicht, Bürgerbegehren für unzulässig zu erklären“, sagte Büttner.

Fall Weinheim: Rechtliche Klärung steht noch aus

Andrea Reister von der Bürgerinitiative „Schützt die Weinheimer Breitwiesen“ berichtete von ihren Erfahrungen. Die Gemeinde im Rhein-Neckar-Kreis habe 2001 einen Grundsatzbeschluss zur Änderung des Flächennutzungsplans gefasst, so dass eine Bebauung der Breitwiesen zulässig gewesen wäre. Dagegen wurden 5056 Unterschriften gesammelt, laut Quorum wären 2500 erforderlich gewesen.

Obwohl die formale Hürde erreicht wurde, blieb das Begehren strittig. Ein Gutachten der Verwaltung erklärt den Beschluss zum Bestandteil der Bauleitplanung und damit nicht bürgerbegehrensfähig, der Gutachter der Bürgerinitiative interpretiert den Beschluss dagegen als einen, der nur im Vorfeld der Bauleitplanung gefasst wurde. „Wir haben in dieser juristischen Frage keine gerichtliche Entscheidung, das erstickt das Engagement der Bürger“, sagte Reister.

In Weinheim sei alles komplizierter geworden, habe Zeit und Geld gekostet, ohne dass etwas erreicht worden wäre. Direkte Demokratie sei „zum Spielball politischer Interessen geworden“. Sie appellierte, die Teilhabe der Bürger nicht nur als „lästige Mitsprache“, sondern auch als Chance zu verstehen.

Grüne Staatsrätin bestätigt den Reformbedarf

Nach Auffassung von Christian Büttner ist auch die Anforderung des sogenannten Kostendeckungsvorschlags eher geeignet, Bürgerbegehren zu verhindern als zu ermöglichen. Die Initiativen sollen demzufolge ihre Alternativvorschläge entsprechend den Vorschriften des Gemeindehaushaltsrechts durchrechnen. Seine Forderung: Die Verwaltung solle die Kosten beziffern, schließlich könnten Initiativen nicht die „Hilfskämmerer“ spielen.

Gisela Erler (Grüne), die Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung bestätigte den Reformbedarf. „Vor allem beim Thema Bauleitplanung können wir nicht hinter Bayern, Thüringen, Sachsen und Hamburg zurückbleiben“, sagte sie. Ulrich Sckerl, der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, äußerte Verständnis für die Unzufriedenheit. Es habe sich aber innerhalb der Koalition mehr Klärungsbedarf gezeigt als vermutet. Er versprach, dass es zeitnah Vorschläge für die Senkung der Abstimmungsquoren und die Verlängerung der Fristen geben werde. Bis Ende März sollten Gespräche zwischen Regierungs- und Oppositionsfraktionen mit dem Ziel geführt werden, die CDU zur Änderung der Spielregeln bei Volksbegehren und Volksabstimmung zu bewegen.

Bürgerbegehren, Bürgerentscheid, Volksabstimmung

Eine Bürgerinitiative muss die Unterschriften von mindestens zehn Prozent der Wahlberechtigten in einer Kommune, maximal aber 20 000, sammeln, um ein sogenanntes Bürgerbegehren einreichen zu können. Beim folgenden Bürgerentscheid gilt es, ein Quorum zu erfüllen. Dabei müssen Gegner oder Befürworter mindestens 25 Prozent der Stimmberechtigten für sich gewinnen. Kommen die 25 Prozent nicht zustande, muss der Gemeinderat in der Sache entscheiden. Dies war zuletzt bei der Abstimmung über eine Gemeinschaftsschule in Bad Saulgau der Fall.

Um das Quorum bei Volksabstimmungen zu senken, ist eine Änderung der Landesverfassung nötig. Das geht nur mit einer Zweidrittelmehrheit im Landtag – die oppositionelle CDU muss also mitmachen. Im Gegensatz zu früher ist die CDU nun offen, eine Senkung des Quorums bei Volksabstimmungen auf bis zu 20 Prozent mitzutragen, dafür stellt sie aber eine Reihe von Bedingungen.