Die Zahl der Opfer in der Ukraine ist jüngst gestiegen. Das liegt auch daran, dass Präsident Poroschenko auf Zeit spielt.

Kiew - Die Zahlen der UN zum, wie es in der UN-Sprache heißt, „bewaffneten Konflikt in der Ostukraine“ steigen. Alleine in den vergangenen Tagen sind sechs Zivilisten bei den Kämpfen ums Leben gekommen. Derzeit sind die Kämpfe so intensiv wie seit dem Spätsommer 2014 nicht mehr. Seit Ausbruch des Kriegs sind 9333 Menschen getötet und 21 000 verletzt worden. Die Auseinandersetzungen im Donbass gehen ins dritte Jahr, eine schnelle Lösung wird nicht erwartet.

 

Das Minsker Abkommen, auf das sich im Februar 2015 Russland, die Ukraine und die EU verständigt haben, liegt auf Eis. Keiner der 13 Punkte ist umgesetzt. Derzeit gibt es einen weiteren Versuch, das Gebiet in der Ostukraine doch noch zu befrieden. Vor allem die USA machen Druck. Der ukrainische Journalist und Spezialist für Regierungsinterna, Sergej Rachmanin, beschreibt die Gemütslage der ukrainischen Führung und deren westlichen Partner. Vor allem Viktoria Nuland, die ehrgeizige Staatssekretärin im US-Außenamt, könnte, wenn Hillary Clinton die US-Wahlen gewinnt, „in ein höheres, politisches Amt gelangen, doch dazu braucht sie auch eigene Erfolge“, schreibt Rachmanin auf der Internetseite der Wochenzeitung „Zerkalo Nedeli“.

Die US-Gesandte verhandelt stundenlang mit Kiew

Nuland hat Mitte dieser Woche zwei Tage in Kiew verbracht und dort stundenlang auf die politischen Entscheidungsträger aus Parlament, Kabinett und Regierung eingeredet. Vor allem Punkt vier der Minsker Vereinbarungen, Wahlen in den Gebieten von Donezk und Lugansk, sollten ihrer Meinung nach bis zum Sommer dieses Jahres umgesetzt werden. Mit Präsident Petro Poroschenko habe Nuland fast fünf Stunden unter vier Augen gesprochen. Die Amerikanerin hat versucht, Poroschenko davon zu überzeugen, die Lage im Donbass innerhalb der nächsten vier Monate grundlegend zu ändern. Nachdem das Parlament der Ukraine den Regionen einen Sonderstatus, im Grunde volle Autonomie, zugestanden hatte, sollten dort sofort Wahlen unter Aufsicht der OSZE stattfinden. Angeblich hat Poroschenko die für einen solchen Prozess notwendigen Gesetze alle bereits in der Schublade liegen. „Er müsse sie nur zur Abstimmung ins Parlament einreichen“, schreibt Rachmanin. Doch das ukrainische Staatsoberhaupt zögert. Er befürchtet, keine Mehrheiten von seinen eigenen Leuten zu bekommen und auf die Stimmen prorussischer Parteien und Politiker angewiesen zu sein, die wiederum massive Interessen im Donbass haben.

Poroschenko hat sich aber auch aus einem zweiten Grund dazu entschieden, auf Zeit zu spielen. Nicht nur in den USA sind Wahlen, auch in Frankreich und Deutschland wird 2017 gewählt. In den nächsten Monaten, so die Hoffnung der Strategen aus der Bankova, dem Amtssitz des Präsidenten in Kiew, werden sich die wichtigsten westlichen Partner mit anderen Problemen befassen müssen als mit der Ukraine.

Moskau möchte in die internationale Gemeinschaft zurück

Die russische Seite hingegen verfolgt die Wiedereingliederung Russlands in die internationale Gemeinschaft. Die EU und die USA sollen nach dem Willen Moskaus die 2014 verhängten Wirtschaftssanktionen aufheben und das Land wieder in den Kreis der G-7-Staaten aufnehmen. Russland hat nun kein Interesse daran, die Lage im Donbass weiter hochkochen zu lassen.

Die OSZE, deren Vorsitz Deutschland in diesem Jahr innehat, sieht sich zunehmend als Spielball der Großmächte. Mit Unterstützung der USA hatte Poroschenko zuletzt gefordert, die Mission sollte bewaffnete Polizeibrigaden aufstellen. Berlin reagierte auf den Vorschlag sehr angesäuert. Der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Martin Schäfer, sagte, dass die Bildung einer Polizeimission den derzeitigen zivilen Charakter der OSZE-Beobachtungsmission komplett verändern würde. Auch Russland lehnt den Vorschlag ab. Trotz aller Schwierigkeiten will die OSZE ihre Mitarbeiterzahl in der Ukraine von 700 auf 1000 erhöhen. OSZE-Botschafter Ertugrul Apakan kündigte an, die Aufstockung sei bereits angelaufen. Vor allem in kleineren Städten und ländlichen Gebieten der Regionen Donezk und Lugansk sollen die internationalen Spezialisten eingesetzt werden.