An diesem Donnerstag soll in Berlin das rot-rot-grüne Bündnis ins Amt gewählt werden. Das ist ein politisches Wagnis, kommentiert unsere Korrespondentin Katja Bauer.

Berlin - Der Dreiklang der Geht-nicht-Welt klingt so: Das haben wir noch nie so gemacht. Das hat noch nie funktioniert. Das ist schon immer so gewesen. Stimmt immer bei neuen Projekten. Das gilt auch für die Regierung, die an diesem Donnerstag in Berlin ins Amt gewählt wird: Nie zuvor hat es eine rot-rot-grüne Koalition unter Führung der SPD gegeben. Noch jedes Dreierbündnis ist vorzeitig gescheitert. Machtgefüge funktionieren bis jetzt stets asymmetrisch – Koch, Kellner: basta.

 

Das Wagnis ist tatsächlich ein beträchtliches für Michael Müller, der sich zum Regierenden Bürgermeister von R2G (zweimal Rot, einmal Grün) wählen lassen möchte. Schnell muss er seine Rolle als Primus inter Pares mit zwei starken Partnern finden. Die Stadt braucht einen positiven Moderator, der sich bei Kritik nicht einmauert. Wer Müllers Führungsstil kennt, dem kommen Zweifel, ob er unter Druck souverän bleiben kann.

Der Start fällt zudem in eine Phase, die besondere Schwierigkeiten birgt: Die Koalition beginnt im Jahr der Bundestagswahl, steht also sofort unter Erfolgsdruck. Auch wenn im Bund ein R2G-Bündnis unrealistisch ist, kommt der Stadt eine Vorreiterrolle zu. Gleichzeitig wird die gesamte politische Auseinandersetzung in dieser Republik so erbittert geführt wie noch nie. Faktenbasierter Streit ist als Gegengift zu den schrillen Tönen der AfD dringend nötig. Weil die anderen Parteien und die Medien im Entsetzen verharren, kann eine mittelgroße Oppositionspartei irre Erwartungen erzeugen und den Diskurs überproportional bestimmen. Politik ist aber langsam. Genau hier hat die Berliner Regierung ein Problem. Vor ihr liegen große Aufgaben. Die Erwartung, dass sich schnell etwas ändert, ist hoch. Aber es wird dauern. Die Hauptstadt ächzt unter ihrem Wachstum und ihrer schlechten Verwaltung. Schulen müssen saniert werden, die Stadt braucht Kitaplätze, Erzieher, bezahlbare Wohnungen, Polizisten, funktionierende Ämter und – ja – auch einen Flughafen.

Berlin ist zu wünschen, dass seine Bürger Geduld haben. Denn die wirkliche Aufgabe ist auf Dauer angelegt: Berlin hat einen unschätzbaren Wert. Das ist sein Geist – der Geist einer Stadt, die eben keine eiskalte Supermetropole ist, sondern ein Ort der Brüche, dessen Geschichte zwischen Menschheitsverbrechen und Mauerfall sichtbar und immer noch als Wundschmerz spürbar ist; ein Ort, der offener ist als andere, dynamischer und zum Experiment bereit. Berlin lebt von der Idee, dass diese Stadt allen gehört. Es versteckt seine Menschen nicht, wenn sie nicht ins Bild passen, schraubt keine Bänke in Fußgängerzonen ab, sondern öffnet Bahnhöfe, damit Obdachlose im Winter nachts nicht frieren. Auch das macht den Geist der Stadt aus. Wer das erkennt, versteht, wie sie tickt.

Der Senat hat, das lässt der Koalitionsvertrag hoffen, genau verstanden, dass für Berlins Zukunft alles davon abhängt, diesen Geist einer offenen Stadt zu verstehen und zu beschützen. Es gilt, dem populistischen Trend der Ausgrenzung zu widerstehen und Menschen willkommen zu heißen. Wer diesen Geist am Recht des Flüchtlings aus dem Irak verletzt, der zerstört dabei auch das, was den Nerd aus Tel Aviv, die Unternehmerin aus Mailand anzieht. Beschützen heißt, den Sog des Booms mit Bedacht zu steuern und keiner Form von Wachstum zu erlauben, die soziale Spaltung der Stadt zu zementieren. Es heißt zu investieren, um alle mitzunehmen, wenn Berlin sich verändert.

In der Geht-nicht-Welt wird bald jemand darauf hinweisen, dass all dies hochgegriffen ist. Das ist richtig. Aber vor 15 Jahren brach Klaus Wowereit mit einem angeblich unmöglichen rot-roten Bündnis auf. Es gelang ihm nicht alles. Aber er, der die Stadt verstand, erreichte den so nötigen Mentalitätswechsel. Bündnisse, die nichts versucht haben, hatte die Stadt zu viele.