Die Remseckerin Helga Mörschner hat eine tie fe Zuneigung zur bildenden Kunst entwickelt: Folge 46 der StZ-Gesprächsreihe „Bürgersprechstunde“.

Region: Verena Mayer (ena)
Remseck - Das teuerste Bild , das im Haus von Helga Mörschner hängt, hat 1000 Mark gekostet. Genau genommen bekam sie dafür drei Bilder – drei Aktzeichnungen. Mit dem Wandschmuck für das Schlafzimmer begann das Interesse Helga Mörschners an Kunst. Es führte dazu, dass inzwischen fast jedes Zimmer des Reihenhauses Gemälde zieren, und sogar ihr Auto hat die Rentnerin bemalen lassen und damit zum Kunstobjekt gemacht. Allerdings hat die freundliche Frau mächtige Zweifel an ihrer Kunstfertigkeit. Weil sie sich, wie sie sagt, nicht ausdrücken könne wie Experten, weil sie ein Gemälde schon dann als gelungen bewertet, wenn es sie anspricht.
Frau Mörschner, erzählen Sie Ihre Geschichte!
Ich bin 75 Jahre alt, verheiratet und lebe in Remseck. Aufgewachsen bin ich in Herbrechtingen und Aalen. Nach der Schule lernte ich Schuhverkäuferin, später machte ich eine Umschulung zur Buchhalterin. 1965 bin ich nach Stuttgart gekommen, wo ich schließlich meinen Mann kennengelernt habe. Früher habe ich mir keine Gedanken über Kunst gemacht. Aber inzwischen denke ich sehr viel darüber nach. Ich frage mich: Was macht ein Kunstwerk aus? Warum werden manche Bilder berühmt, oder wie wirkt sich der Zeitgeist auf Arbeiten aus? Ich grüble immer wieder über solche Themen nach. Allerdings habe ich noch immer mehr Fragen als Antworten.
Wie hat Ihr Weg zur Kunst begonnen?
Mein Mann hatte auf dem Weihnachtsmarkt in Kornwestheim drei Bilder gesehen, die ihm gefallen hatten. Er meinte, die würden gut in unser Schlafzimmer passen. Es waren Aktzeichnungen, und sie gefielen mir ebenfalls. Das war 1990. Ich hatte mich bis dahin nicht mit Kunst beschäftigt, schon gar nicht mit Gemälden für unser Zuhause.
Was gefiel Ihnen an den drei Akten?
Ich konnte sie mir gut an der Wand über unseren Betten vorstellen. Wir hatten das Schlafzimmer damals gerade frisch renoviert. Statt der geblümten Tapete hatten wir nun eine neutrale Wand. Ohne die Bilder hätte dort etwas gefehlt. Tina Kübler, so hieß die Künstlerin, hat sich bestimmt auch gefreut, dass wir mal schnell drei ihrer Bilder genommen haben, das dritte war noch gar nicht ganz fertig.
Inzwischen hängen an allen Wänden hier im Haus Gemälde – oder täuscht der Eindruck?
Nein, der täuscht nicht. Das einzige Zimmer, wo kein Platz ist für ein Bild, ist die Küche.
Die Bilder sind sehr unterschiedlich: hier eine Blumenwiese auf Aquarell, dort etwas sehr Abstraktes auf Glas. Sie wählen Ihre Kunst nicht systematisch aus, oder?
Nein. Die Sammlung hat sich so ergeben. Die zwei Grafiken von Adam Lude Döring im Wohnzimmer haben wir speziell für den Platz überm Sofa gekauft. Für die dritte Grafik reichte der Platz dann leider nicht mehr. Deshalb hängt sie nun im Flur im ersten Stock. Die meisten Gemälde stammen allerdings von unserer Tochter Stephanie. Sie malt seit ungefähr 20 Jahren. Ihr Stil hat sich im Lauf der Jahre sehr verändert. Sie sagt oft zu mir, dass ich ihre Bilder von früher abhängen soll. Aber das geht doch nicht. Hier dieser Tiger zum Beispiel, der sich mit seinen schönen Farben in der Pfütze spiegelt, der gefällt mir ganz arg. Der guckt mich immer an, wenn ich am Computer sitze.
Was hat es mit dem Koala daneben auf sich?
Den hat auch unsere Tochter gemalt. Vielleicht spricht er mich deshalb so an, weil ich mal nach Australien auswandern wollte. Damals war ich 22, ich hatte eine Tante in Queensland, aber sie meinte, ich solle nicht kommen. Ohne gutes Englisch wäre ich verloren. Meine Mutter war sowieso dagegen. Also blieb ich hier.
Dieses Gemälde mit dem abstrakten Dampfer, stammt das auch von Ihrer Tochter?
Nein, das ist ein Werk von Riccardo Bondi. Wir haben es im Herbst 1992 gekauft, am Ende eines sehr schönen Urlaubs auf einem Weingut in der Toscana. Wir sahen das Bild im Atelier des Sohnes unseres Vermieters. Wir haben nicht lange überlegt, wir mussten dieses Bild einfach haben. Seither hängt der Bondi hier in meinem Arbeitszimmer.
Hängen die Bilder von jeher an ihren Plätzen?
Ja! Ich kann keins abhängen. Bilder sind wie Kinder. Jedes ist anders, und jedes entwickelt ein Eigenleben. Wenn ich sie anschaue, sehe ich immer etwas anderes. Mal fällt das Licht anders, mal ein Schatten. Um- oder gar abhängen geht gar nicht. Nicht einmal bei dem Ölbild im Schlafzimmer habe ich das fertiggebracht.
Was hat es mit dem Bild auf sich?
Das hat mir mein Mann zu meinem 48. Geburtstag geschenkt. Er dachte, mir würde das Gemälde so gut gefallen wie ihm. Er überreichte es mir voller Stolz, doch ich war total geschockt. Man erkennt zwar eine Mutter mit Kindern am Strand, aber das ist alles so flächig gemalt, ich sehe keine Gesichter. Und die Farben sind so düster. Ich konnte nichts damit anfangen. Ich weiß nicht einmal, wie der Künstler heißt.
Und trotzdem hat das Bild einen Platz an der Wand bekommen?
Ja. Und jedes Mal, wenn ich es abstaube, frage ich mich, was sich mein Mann beim Kauf nur gedacht hat. Ich finde, Bilder kann man nicht einfach so verschenken, das ist etwas sehr Persönliches. Aber auch dieses Ölbild ist mein Kind geworden. Wenn es nicht mehr da wäre, würde mir etwas fehlen. Jetzt, da wir gerade davon reden, fällt mir ein, dass dieses düstere Bild das erste war, das damals in unser neues Schlafzimmer einzog, das waren gar nicht die Aktzeichnungen. Das hatte ich wohl verdrängt.
Würden Sie sagen, Sie kennen sich inzwischen mit Kunst aus?
Nein, ich bin überhaupt keine Kunstkennerin, immer noch nicht. Unsere Tochter zum Beispiel kann ganz genau begründen, warum ein Bild aus ihrer Sicht nicht gelungen ist. Weil die Farben nicht stimmen oder die Optik oder die Perspektive oder was auch immer. Ich bin immer wieder fasziniert, was man über ein Kunstwerk alles sagen kann. Aber ich kann das nicht. Ich erkenne nicht, ob ein Bild perfekt ist. Für mich ist der Ausdruck bedeutend, der Stil, die Farben, die Stimmung.