Der 62-jährige Johann Schreiber erzählt von seiner besonderen Beziehung zum Ludwigsburger Schloss. Teil 8 der Serie „Bürgersprechstunde“.

Region: Verena Mayer (ena)
Ludwigsburg – - Johann Schreiber geht voran: Eine Treppe hinauf, um die Ecke, noch eine Treppe und noch eine letzte, ziemlich steile, dann ist er am Ziel. Hier gibt es keine Heizung, und Licht leuchtet nur spärlich. Trotzdem hat Johann Schreiber, 62, an keinem Platz der Welt lieber gearbeitet als hier im Ludwigsburger Schlosstheater. Darüber will er, der heute offiziell seinen letzten Arbeitstag hat, mit uns reden.
Herr Schreiber, erzählen Sie Ihre Geschichte!
Ich bin 1968 als Wirtschaftsflüchtling nach Baden-Württemberg gekommen. Bis dahin hatte ich in Bayern gelebt, im tiefsten Zonenrandgebiet. Ich habe dort eine Lehre als Möbelschreiner gemacht, aber keine Perspektive gesehen. Dass ich die Lehrstelle hatte, war schon ein Wunder, viele hatten nicht mal das. Nach meiner Lehre hätte ich einen Stundenlohn von einer Mark fünfzig gehabt. Mein Opa hat damals schon in Ludwigsburg gelebt. Er war auf einer Montagereise dort hängengeblieben und hat immer gesagt: „Komm doch!“ Das hab’ ich dann gemacht. Damals war ich 17.
Wie sind Sie zum Schlosstheater gekommen?
Nach meiner Schreinerlehre habe ich in Ludwigsburg zum Zimmermann umgelernt, das erschien mir vielschichtiger. Der Betrieb, bei dem ich dann angestellt war, hatte viele Aufträge im Residenzschloss, zum ersten Mal bin ich 1970 dort gewesen. Als 1992 der bisherige Zimmermann des Schlosses schwer krank wurde, hat man mich gefragt, ob ich den Posten übernehmen möchte. Ich habe mich gefreut und zugesagt, obwohl ich weniger verdiente als zuvor. Andererseits hatte ich schon einen Bandscheibenvorfall gehabt und dachte: Beim Staat bin ich gut aufgehoben. Ich habe meine Entscheidung nie bereut. Als Zimmermann bin ich für die Holzarbeiten im gesamten Schloss zuständig. Aber zum Theater habe ich eine ganz besondere Beziehung entwickelt.
Wie kam das?
Das Theater ist von 1996 bis 1998 komplett restauriert worden. Der Zuschauerraum wurde neu gemacht, die Königsloge, der Boden. Es gab neue Tapeten, neue Vorhänge, neue Decken – und eine neue Bühnenmaschinerie. Wobei „neu“ das falsche Wort ist, die Bühnenmaschinerie ist dieselbe wie bei der Eröffnung im Jahre 1758 – nur: jetzt funktioniert sie wieder.
Dank Ihnen?
An der Theaterrestaurierung waren natürlich sehr viele Menschen beteiligt mit einem wahnsinnigen Wissen und riesigem Engagement. Dass ich mich letztlich der barocken Bühnentechnik annahm, war eher ein Zufall. Die Maschinerie war damals ein einziger Trümmerhaufen. Alles war zerstört oder zerlegt und im ganzen Haus verteilt. Keiner hat gedacht, dass man die Teile entwirren, sortieren und wieder zusammenbauen kann. Als ich das mitbekam, habe ich zu meinem damaligen Abteilungsleiter, Doktor Hans-Joachim Scholderer, gesagt: „Geben Sie mir vier Monate, dann hab’ ich alles sortiert!“ Ich war dankbar, dass Doktor Scholderer mir diese Chance gegeben hat, ich bin ja kein gelernter Denkmalpfleger oder Kunsthistoriker. Aber letztlich hat alles funktioniert.
Woher wussten Sie, was Sie tun müssen?
Im Prinzip war es wie bei einem riesigen Puzzle: Ich habe jedes Teil einzeln angefasst, ganz genau angeschaut und dann geguckt, wo es hinpassen könnte. Wenn zum Beispiel an einer Holzlatte eine Wachsspur war, die nach unten lief, wusste ich schon mal, wo bei der Latte oben und unten war. Wenn ich dann auch noch Nagellöcher gefunden habe, konnte ich rekonstruieren, an welchem Pfosten und wo genau dort die Latte befestigt war. So konnten zum Beispiel die sogenannten Kulissenträger instand gesetzt werden, das sind die riesigen Holzgatter, auf die die Stoffkulissen aufgehängt werden. Am Anfang war die Arbeit fast unüberschaubar. Ich habe oft die Zeit vergessen. Es gab Tage, da habe ich erst spätabends gemerkt, dass schon lange Feierabend ist.
Was haben Sie außer den Kulissenträgern noch gerettet?
Den Wellbaum in der Unterbühne, die hier Hölle heißt, zum Beispiel. Der hölzerne Wellbaum ist eine Art Antriebsmaschine und hat eine zentrale Funktion. Mit ihm wird alles bewegt, was zum Bühnenbild gehört: die Kulissen, der Mittelprospekt und die Soffitten. Die Soffitten bilden den Abschluss nach oben, zum Schnürboden, der hier Himmel heißt. Dieser Wellbaum jedenfalls war aus seinen Lagern gewuchtet worden und deshalb verzogen. Ebenso die Holzräder, welche die Seile nach oben in den Himmel führen.