Die 62-jährige Ulrike Geis aus Bietigheim-Bissingen sucht verzweifelt eine neue Anstellung: Folge 17 der StZ-Gesprächsreihe „Bürgersprechstunde“.

Region: Verena Mayer (ena)
Bietigheim-Bissingen - Strahlender Sonnenschein, herrlich blauer Himmel, singende Vögel – das perfekte Ausflugswetter für Ulrike Geis. Eigentlich. Seit die Buchhändlerin vor 20 Monaten ihre Arbeit verloren hat, versagt sie sich so ziemlich alles, was zum Geldausgeben verleiten könnte. So sitzt die 62-Jährige an diesem Morgen in ihrer Wohnung in Bietigheim-Bissingen und spricht über erfolglose Bewerbungen, falsche Vorstellungen von Arbeitslosigkeit und über das erniedrigende Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden.
Frau Geis, erzählen Sie Ihre Geschichte!
Ich bin 1953 in Heilbronn geboren und habe sehr jung geheiratet. Ich war 18, mein Mann zehn Jahre älter. Nach dem Abitur begann ich, an der Pädagogischen Hochschule in Ludwigsburg zu studieren. Ich wollte Lehrerin werden. Als unser erster Sohn auf die Welt kam, habe ich mein Studium unterbrochen und danach den Einstieg nicht wieder geschafft. Stattdessen begann ich 1979, aushilfsweise im alternativen Buchladen Schwarzes Schaf in Ludwigsburg zu arbeiten, den ich 1997 schließlich übernommen und geführt habe. Leider musste ich das Schwarze Schaf 2002 schließen. Der Standort am Marstallcenter war immer verwahrloster und die Zielgruppe immer kleiner geworden. Nach zweieinhalb Jahren Arbeitslosigkeit fand ich zuerst eine Teilzeitstelle in einer anderen Buchhandlung, und schließlich bekam ich eine Vollzeitstelle in der Evangelischen Buchhandlung in Ludwigsburg. Ich habe diese Filiale sieben Jahre lang geleitet, doch 2013 ist sie geschlossen worden. Ich verlor meine Arbeit.
Seither suchen Sie eine neue Stelle?
Ja, und es ist wirklich hart. Ich bin seit vielen Jahren geschieden und muss komplett für mich selbst sorgen. Ein kleiner Teilzeitjob hilft mir deshalb nicht weiter. Während meiner ersten Arbeitslosigkeit bin ich putzen gegangen. Aber das ist jetzt, mit 62 Jahren, keine Option mehr. Ich glaube, für Männer ist es leichter, einen neuen Job zu finden, weil sie noch immer als Versorger gesehen werden. Womöglich haben sie auch ein Spezialwissen, das mehr gebraucht wird, etwa wenn sie Handwerker sind. Meine bisherigen Erfahrungen zeigen mir, dass vielen Leuten nicht klar zu sein scheint, dass es auch in meinem Alter Frauen gibt, die keinen Versorger an der Seite haben, die auf eigenen Beinen stehen müssen.
Wie viele Bewerbungen haben Sie in den vergangenen 20 Monaten geschrieben?
Ungefähr 25. Das hört sich wenig an, aber es gibt in der Buchbranche einfach nicht so viele Angebote. Ich habe mich auf jede Stelle beworben, die es gab. Also auch als Disponentin im Buchgroßhandel oder für die Kundenberatung im Innendienst. Ich habe 40 Jahre Berufserfahrung, aber es kam nicht ein einziges Mal zu einem Vorstellungsgespräch. Die Absagen sind alle freundlich formuliert, aber das ändert ja nichts: Man kann mit 72 Jahren Bundespräsident werden, und man kann mit 67 Jahren vielleicht Präsidentin der Vereinigten Staaten werden – aber eine normale Arbeitnehmerin, die in ihrem Bereich durchaus solide Kenntnisse vorweisen kann, findet keinen Job. Mit meinen 62 Jahren bin ich einfach zu alt, nicht vermittelbar.
Haben Sie sich auch außerhalb der Buchbranche beworben?
Natürlich. Ich habe mich zum Beispiel auf eine Stelle im Empfangsbereich eines juristischen Verlags beworben. Das hätte ich mir wirklich gut vorstellen können. Und als WMF eine Stelle für die Leitung einer Filiale ausgeschrieben hatte, schickte ich meine Unterlagen auch dorthin. Ich weiß, dass ich eine Filiale leiten kann, und bin als leidenschaftliche Köchin vertraut mit Haushaltsgegenständen. Aber nein – man will mich nicht. Zuletzt habe ich mich mit größter Begeisterung beim Stuttgarter Staatstheater beworben. Die suchten für 30 Stunden in Teilzeit eine Kartenverkäuferin. Meine Freunde meinten, für diese Aufgabe sei ich überqualifiziert. Aber ich will arbeiten und Geld verdienen. Doch letztlich habe ich auch hier nicht mal eine Einladung zum Gespräch bekommen.
Gehen Sie mit Absagen heute anders um als am Anfang Ihrer Arbeitssuche?
Die Frustration wächst und die Empfindlichkeit auch. Jede Absage schneidet direkt ins Fleisch. Ich brauche danach immer Tage, um mich wieder aufzubauen und um neuen Mut zu fassen für die nächste Bewerbung.