Die promovierte Soziologin und Schriftstellerin Marlene Möller erzählt in der StZ-Gesprächsreihe „Bürgersprechstunde“, warum sie viel lieber in Stuttgart als in der Metropole Paris lebt.

Reportage: Frank Buchmeier (buc)

Stuttgart - Marlene Möller – promovierte Soziologin, geschieden, vier erwachsene Töchter – heißt im bürgerlichen Leben anders. Auch ihr Alter, sagt die Schriftstellerin, müsse nicht in der Zeitung stehen. Marlene Möller empfängt den Gast in ihrer Dachwohnung an der Stuttgarter Gänsheide. Sie serviert einen frisch gebrühten Kaffee, der Tote erwecken könnte, und spricht über ihre erkaltete Liebe zur einstigen Traumstadt Paris.

 
Frau Möller, erzählen Sie Ihre Geschichte!
Ich stamme aus einer konservativen Stuttgarter Unternehmerfamilie, besuchte bis zur mittleren Reife ein klösterliches Internat im Oberland und machte das Abitur auf dem Mädchengymnasium St. Agnes. Ende der 60er Jahre ging ich als junge Studentin der Soziologie, Germanistik und Politikwissenschaft für ein Trimester an die berühmte Sorbonne. Das war in der Zeit, als Intellektuelle wie Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir, Albert Camus und Samuel Beckett das geistige Klima an der Universität prägten. Paris zog mich in seinen Bann, ich verfiel der Schönheit und dem Zauber der Stadt, der Leichtigkeit, dem Savoir-vivre und der Unbürgerlichkeit.
Trotzdem sind Sie wieder heimgefahren.
Damals war ich nicht stark genug, um dem Erwartungsdruck meiner Eltern standzuhalten. Noch während meiner Promotion in Tübingen heiratete ich, vier Töchter kamen zur Welt. Später zerbrach die Ehe. Ich zog als alleinerziehende Mutter in diese Vier-Zimmer-Eigentumswohnung und arbeitete als Gymnasiallehrerin. In all den Jahren verließ mich nie die Überzeugung, dass ich eigentlich in Paris leben müsste. Der Keim, der in meiner Studienzeit gelegt worden war, wuchs weiter.
2005 sind Sie tatsächlich in Ihre Traumstadt gezogen. Wie kam es dazu?
Stuttgart kam mir provinziell vor, und ich fühlte mich eingeengt. Die Schwaben waren für mich hälinge reiche Muffköpfe. Die Stadt war mir zu wenig Metropole. Als ich wirtschaftlich einigermaßen abgesichert war, habe ich aufgehört zu arbeiten und bin nach Paris geflüchtet – mit der Absicht, dort für immer zu bleiben.
Empfing Sie die französische Hauptstadt mit offenen Armen?
Nein, die Wohnungssuche war grauenhaft. Letztendlich fand ich zwischen Montmartre und Opera ein 13-Quadratmeter-Mansardenzimmer für 500 Euro Kaltmiete: Grand Lit, Tisch, Stühle, Dusche, Küchenzeile, Klo auf dem Flur – das war‘s. Eine komfortablere Bleibe hätte ich mir im Herzen der Stadt nicht leisten können.
Waren Sie glücklich?
In der Anfangszeit fühlte ich mich wie im siebten Himmel, zumal ich mir nun auch meinen zweiten lang gehegten Traum erfüllen konnte: Ich wurde Schriftstellerin. Mein Roman „Jakobsland“ hatte mich bereits Jahrzehnte beschäftigt, auch die Recherche war abgeschlossen. Aber erst in Paris kam ich dazu, ihn zu schreiben. Er beruht auf einem realen Rechtsfall aus dem 19. Jahrhundert. Parallel dazu begann ich, meine Paris-Erfahrungen literarisch zu verarbeiten. Und ich büffelte die französische Sprache. Diese Tätigkeiten füllten einen Großteil des Tages aus, die restliche Zeit entspannte ich mich am Ufer der Seine, in den Parks, den Cafés, den Theatern und den Museen. Durch meine Jahreskarte erhielt ich regelmäßig Briefe, die persönlich an die „Freunde des Louvre“ adressiert waren. Das gefiel mir.
Gab es auch richtige Freundschaften?
Die Pariser gelten im restlichen Frankreich ja als kapriziös, egoistisch und unfreundlich. Ganz so krass habe ich sie nicht wahrgenommen, aber eines stimmt: Sie tun Fremden gegenüber zwar höflich und interessiert, letztendlich bleiben sie aber unnahbar. Bis zu ihrer Türschwelle kommt man leicht, darüber nur schwer. Selbst die interessantesten Bekanntschaften erwiesen sich letztlich als flüchtig. Anfangs störte mich das nicht, ich fühlte mich in Paris wie einst Heinrich Heine, also „wie der Fisch im Wasser“. Doch nach etwa vier Jahren ließ die Begeisterung nach und eine gewisse Resignation bekam die Oberhand. Nach sechs Jahren wusste ich: Du bist hier eine Fremde und wirst es immer bleiben.