Frederica Steisslinger verwaltet in einer Böblinger Villa das künstlerische Erbe ihres Schwiegervaters. Teil drei der StZ-Gespächsreihe „Bürgersprechstunde“.

Reportage: Frank Buchmeier (buc)
Böblingen - Gegenwärtig, temperamentvoll und sehr offen sei Frederica Steisslinger, schreibt uns Ursula Kupke, Vorsitzende des Galerievereins: „Ich möchte Ihnen sehr empfehlen, die Probe aufs Exempel zu machen.“ Wir besuchen die 82-jährige Frederica Steisslinger in ihrer Villa auf dem Böblinger Tannenberg.
Frau Steisslinger, erzählen Sie Ihre Geschichte!
Ich wurde 1933 in dem niederösterreichischen 200-Seelen-Dorf Falkenstein als Frederica Jagodits geboren, mein Vater war der Gemeindearzt. Nach dem Krieg wanderten wir unter abenteuerlichen Umständen nach Rio de Janeiro aus. Am 13. August 1947 kam ich mit meiner Familie dort an. Wir hatten kein Geld mehr, und mein Vater besaß in Brasilien keine Zulassung als Arzt. Er musste eine schlecht bezahlte Anstellung in einem Labor annehmen. Meine Schwester Christine und ich arbeiteten zunächst als Hausmädchen, mein Bruder Theodor schuftete in einer Fabrik. Nach acht Monaten in unserer neuen Heimat starb völlig unerwartet meine Mutter, das Geld für die Beerdigung mussten wir uns leihen. Meinen Vater brachte der Tod seiner Frau aus dem Konzept, er kümmerte sich kaum noch um uns Kinder. Wir drei Geschwister haben dann zusammengelegt und uns eine Wohnung gemietet. Ich brachte mir selbst Stenografie bei und fand eine Stelle als Sekretärin – vielleicht half mir dabei auch mein langer, hübscher Zopf etwas.
Haben Sie den Brasilianern mit Ihrem österreichischen Charme den Kopf verdreht?
Das hätte mein großer Bruder nicht zugelassen. Theodor hat immer darauf geachtet, dass ich nichts tue, was meinem Ruf schaden könnte. Er war damals meine moralische Instanz.
Wie fanden Sie trotz dieser strengen brüderlichen Aufsicht den Mann Ihres Lebens?
Im Oktober 1953 stand am Strand von Ipanema plötzlich ein Fremder vor mir. Ich saß auf meinem Handtuch und las, als er direkt auf mich zukam und fragte: „Entschuldigen Sie, Sie sprechen doch Deutsch, oder?“ Ich fand das frech, doch dann merkte ich, dass er verlegen wirkte – nicht wie ein Kerl, der jeden Tag junge Mädchen anspricht. Er stellte sich als Dr. Eberhard Steisslinger vor. Er war Arzt wie mein Vater und 13 Jahre älter als ich. Eberhard lud mich in sein Haus nach Teresópolis ein, einer Stadt in den Bergen, 90 Kilometer von Rio entfernt. Er erzählte, dass sein Vater ein schwäbischer Maler sei und seine Mutter Brasilianerin. Seine Eltern hatten eine Zeit lang in Teresópolis gelebt und waren dann nach Deutschland zurückgekehrt. Im Frühjahr 1955 sagte Eberhard zu mir, dass sein Vater zu Besuch sei, und bat mich, ihn in Rio zu treffen. So begegnete ich erstmals dem wundervollen Fritz Steisslinger.
Das klingt, als hätte Gott vor Ihnen gestanden.
Genauso habe ich mich gefühlt: winzig klein neben dem übergroßen Künstler! Fritz Steisslinger sah mich mit einem analysierenden Blick an und sprach: „So, so, Sie sind also das Fräulein, das mein Eberhard geschickt hat.“ Er lud mich zum Mittagessen ein und ließ mich meine Lebensgeschichte erzählen. Am Ende fragte er: „Wieso haben du und mein Sohn noch nicht geheiratet?“ Kein vier Wochen später fand die Hochzeit in Teresópolis statt, die Veranda war mit Blumen geschmückt, und es gab Brathähnchen mit Reis. Fritz Steisslinger behandelte mich fortan, bis zu seinem Tod am 16. März 1957, wie seine eigene Tochter.
Sie erlebten Ihren Schwiegervater nur recht kurz.
Wir begegneten uns noch ein Mal persönlich: 1956, als mein erster Sohn geboren war, kam er uns in Teresópolis besuchen. Aber wir haben uns viele Briefe geschrieben. Im Nachhinein kann man sagen, dass mein Schwiegervater mich damals rekrutierte. „Wir brauchen in Böblingen jemanden, der schaffen kann“, erklärte er mir, oder: „Bei dir ist die Matrize noch ganz sauber.“ Damit hatte er recht: Ich war aufnahmefähig für alles, was auf mich zukam.