Der Rutesheimer Tierarzt Wilfried Linz wuchs im Zonensperrgebiet auf, wurde als junger Mann beim Fluchtversuch aus der DDR gefasst und landete im Gefängnis. Nach einem Jahr kaufte ihn die BRD frei.

Reportage: Robin Szuttor (szu)
Rutesheim – - Hör endlich auf!“ Gypsy, ein junger Weimaraner-Rüde, will spielen, Wilfried Linz will sich aber unterhalten. „Schluss!“, schreit der 70-Jährige. Gypsy hält kurz inne und trabt rüber zur Wohnzimmerkommode. Auf dem Möbel stehen Fotos der beiden erwachsenen Kinder, darunter liegt Gypsys Gummiball, den er mit ganz viel Freude Herrchen bringt. „Heidi, nimm doch mal den Hund weg!“
Herr Linz, erzählen Sie Ihre Geschichte!
Meine Kindheit und Jugend, im Grunde mein ganzes Leben wurden geprägt von einem erbärmlichen Staat, der sich DDR nannte. Ich habe von früh auf erlebt, was es bedeutet, sich nicht entfalten zu können.
Woher kommen Sie?
Ich bin 1945 geboren und aufgewachsen in dem 400-Einwohner-Ort Neuenhof im Kreis Eisenach, ein zauberisches, malerisches Dörfchen im Thüringer Wald – und mitten im Zonensperrgebiet. Wir wohnten zwei Kilometer von der deutsch-deutschen Grenze entfernt.
Wann beginnen Ihre Erinnerungen?
Etwa in der Zeit, als ich fünf war. Wir waren oft bei der Familie meiner Mutter, sie lebte auf der anderen Seite der Werra im Hessischen. Der Kontakt war sehr eng. Im Westen sahen wir den Wiederaufbau und bekamen mit, was man alles sagen durfte. Dann sahen wir den Wiederaufbau im Osten und bekamen mit, was man alles nicht sagen durfte. Es war ein Schock für alle, als die Mauer gebaut wurde. Wir haben gesehen, wie man den Stacheldraht hochzog, die Minen in den Boden und die Metallwehre in die Werra pflanzte, an denen sich Flüchtlinge aufspießen sollten. Scharfe Schäferhunde liefen an langen Leinen entlang der Grenze. Es war bedrückend. Auch danach gab es noch Besuche im Westen, aber unsere Familie – ich habe noch einen jüngeren Bruder – wurde in Sippenhaft gehalten. Zwei durften immer rüber, zwei mussten immer dableiben.
Wie lebte man in Neuenhof?
Im dauernden Existenzkampf. Mein Vater war schwer versehrt aus dem Krieg heimgekommen. Wir hatten 400 Mark im Monat. Meiner Mutter ist es stets irgendwie gelungen, damit einigermaßen hinzukommen. Zum Glück wurden wir auch von meinem Opa im Westen alimentiert, ein sehr praktischer Mensch.
Wie hat die DDR Ihr Leben bestimmt – außer durch Stacheldraht vor der Haustür?
Sie war überall. Wir Kinder in der Schule wurden gefragt: „Wenn ihr Fernsehen guckt, welche Uhr ist denn da zu sehen? Die mit den Strichen oder die mit den Pünktchen?“ Sah einer die mit den Strichen, wusste die Stasi: Daheim schaut man Westfernsehen. Es gab mal eine Aktion, da stiegen sie auf die Dachböden, man hatte ja die Antennen unter dem Dach, damit die Ausrichtung nicht zu sehen war, und rissen alles runter. Aber wir hatten ja unsere Verwandten und erfuhren trotzdem immer alles von drüben.