Bei der Bürgerumfrage des Statischen Amts der Stadt Stuttgart wird erstmals nach der Straßenverbindung im Nordosten der Landeshauptstadt gefragt. Das Projekt landet dabei auf den vorderen Rängen. Die Reaktionen sind geteilt.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Stuttgart - Der Nordostring, eine immer wieder diskutierte Straßenverbindung zwischen der B 14 bei Fellbach (Rems-Murr-Kreis) und der B 27 bei Kornwestheim (Kreis Ludwigsburg) ist nicht nur umstritten, sondern galt eigentlich schon als politisch tot. Dann schaffte es das Vorhaben überraschend wieder in den Bundesverkehrswegeplan, allerdings nur in die Kategorie „Weiterer Bedarf“, was eine baldige Realisierung unwahrscheinlich macht. Gleichwohl war der Nordostring plötzlich wieder in der Diskussion. Die könnte ausgerechnet durch eine von der Stadt Stuttgart veröffentlichte Erhebung neue Nahrung bekommen. In der Bürgerumfrage lotet das Statistische Amt der Landeshauptstadt alle zwei Jahre unter anderem Zustimmungswerte zu einzelnen Projekten aus. Erstmals wurde dieses Jahr auch der Nordostring, den nicht zuletzt Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) skeptisch sieht, abgefragt. Auf einer Skala zwischen 0 und 100 kam das Projekt auf Anhieb auf einen Wert von 69. Nur die „Stadt am Fluss“ (75), der Ausbau des Stadtbahnnetzes (72) und der Umbau des Wilhelmspalais (70) erfuhren mehr Zustimmung. Die Erweiterung des Rosensteinparks und des Schlossgartens als Teilaspekt von Stuttgart 21 brachte es auf 70 Punkte. Die Reaktion auf das laut städtischer Pressemitteilung „sehr positive Meinungsbild“ für das Straßenbauprojekt fallen sehr unterschiedlich aus.

 

Erschrecken über Zustimmungswerte

„Diese Zustimmung ist erschreckend“, sagt Joseph Michl, der mit seiner Arge Nord-Ost gegen das Vorhaben kämpft. Er verweist darauf, dass bei genauerer Betrachtung der Zahlen nur 43 Prozent der Antwortenden eine sehr gute oder gute Meinung vom Nordostring haben. „Das ist aber immer noch erschreckend hoch.“ Michl folgert, man müsse die Menschen besser informieren. Teilen der Politik, namentlich dem Waiblinger Bundestagsabgeordneten Joachim Pfeiffer (CDU), wirft Michl vor, mit falschen Zahlen und Behauptungen zu operieren. Der Lückenschluss brächte – wenn überhaupt – nur eine minimale Entlastung für das Stuttgarter Straßennetz. Der Nordostring diene vor allem dem überörtlichen Verkehr.

Es gibt aber auch ganz andere Töne. „Offensichtlich haben breite Bevölkerungsschichten es satt, durchschnittlich 20 bis 30 Minuten täglich im Stau zu stehen. Viele sehen auch die Gefahr, dass Stuttgart, die Stauhauptstadt Deutschlands, unattraktiv als Industriestandort wird“, sagt Otto Sudrow vom Verein Wir für morgen. Der Zusammenschluss mit Sitz in Remseck (Kreis Ludwigsburg) versteht sich als „Initiative pro Nordostring“. Er verweist auf die hohe Wirtschaftlichkeit des Vorhabens. Gleichwohl ist den Unterstützern auch die Betroffenheit in dem Gebiet bewusst, durch das die Straße führen würde. Man wolle den Gegnern des Vorhabens die Hand reichen, sagt Sudrow und fordert, „die Trassenführung ökologisch sinnvoll zu planen und auch eine Deckelung durchzuführen, um den Landschaftsverbrauch zu minimieren“. Die Befürworter halten die Zeit für gekommen, in das Projekt einzusteigen. An Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) ergeht der Appell, „den Willen der Bevölkerung zu respektieren und unmittelbar mit der Planung zu beginnen“.

Verkehrsministerium verweist auf fehlende Fortführung

„Wir haben gute Gründe, nicht in die Planung einzusteigen“, sagt Hermanns Sprecher Edgar Neumann. Er bezweifelt, dass jene, die sich in der Umfrage für das Projekt ausgesprochen haben, überhaupt konkret wissen, worum es geht. „Das ist eine Schimäre.“ Die Befürworter würden den Eindruck erwecken, das Vorhaben entlaste das Stuttgarter Straßennetz. Neuerdings verweist man im Ministerium darauf, dass die diskutierte Straßenverbindung ja gar keine Ringlösung für die Landeshauptstadt darstelle. Dafür brauche es auch noch die Filderauffahrt. Neumann: „Die Fortführung steht völlig in den Sternen.“

Hermanns Parteifreund, der Stuttgarter OB Fritz Kuhn, lässt sich von den Meinungsäußerungen seiner Bürgerschaft nicht irritieren. „Die ablehnende Haltung des Oberbürgermeisters zum Thema Nordostring ist bekannt“, teilt eine Stadtsprecherin mit. In dem Statement wird zudem auf Unschärfen der vom städtischen Statistikamt erhobenen Zahlen hingewiesen. „So ist es beispielsweise möglich, dass die Befragten ,zu viel Straßenverkehr‘ als größtes Problem in Stuttgart sehen, aber gleichzeitig auch mehr ,Parkmöglichkeiten in der Innenstadt‘ fordern.“ Das Rathaus erkennt in der Bürgerumfrage allenfalls „eine Momentaufnahme und keine Bürgerbeteiligung, zu der differenziert Argumente zu einzelnen Themen oder Projekten debattiert werden“.

Klare Haltung in Fellbach und Kornwestheim

In den entlang der möglichen Trasse liegenden Städte, die dem Vorhaben ablehnend bis zögerlich gegenüberstehen, ist das Umfrageergebnis aufmerksam zur Kenntnis genommen worden. Für Waiblingens Oberbürgermeister Andreas Hesky (Freie Wähler) ist „die Veränderung in der Bewertung des Projekts ein Indiz dafür, dass auch die Stuttgarter Bevölkerung erkennt, dass es ein Verkehrsproblem in der Stadt und in der Region gibt“. Der Nordostring könne Entlastung für den Talkessel bringen, „und natürlich würde er auch unseren Teilort Hegnach vom Durchgangsverkehr entlasten“, sagt Hesky.

Seine Amtskollegin Ursula Keck (parteilos) aus Kornwestheim betont, dass die Stuttgarter Zahlen nichts an der strikten Ablehnung des Rings in der Stadt ändern würden. „Für Stuttgarter ist es relativ einfach, für den Nordostring zu sein. Sie sind ja kaum vom Bau betroffen“, sagt Keck. Man lenke den Verkehr in die Nachbarschaft. „Es ist ein Trugschluss, wenn Stuttgart denkt, damit sein Verkehrs- und Feinstaubproblem lösen zu können.“ Man spreche hier von einem autobahnähnlichen Neubau. Im Rathaus von Fellbach (Rems-Murr-Kreis) schlägt man in dieselbe Kerbe. „Den Verkehr einfach nach außen in andere Gemarkungen zu verschieben, ist keine Lösung. Ein Nordostring wird Stuttgart nicht entlasten, sondern nur weiteren Verkehr nach sich ziehen“, erklärt Oberbürgermeisterin Gabriele Zull (parteilos). „In der Region benötigen wir nachhaltige Rezepte, die wir nur gemeinsam erreichen.“ Niemand wolle den Verkehr vor der eigenen Haustür haben. „Das ist ein verständlicher Wunsch – der aber sicher auch auf die Fellbacher Bürgerinnen und Bürger zutrifft“, gibt Zull zu bedenken.