Reinhard Bütikofer war selbst sechs Jahre lang an der Parteispitze. Ein Jahr vor der Bundestagswahl mahnt er die Grünen, Winfried Kretschmann nicht zum Prügelknaben zu machen.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin -

 
Herr Bütikofer, haben Sie Angst vor dem Parteitag in Münster?
Angst vor einem Parteitag? Eine reine Harmonieveranstaltung wird es zwar wahrscheinlich nicht geben, aber das gehört bei uns zur politischen DNA. Und in Münster hatten wir immer erfolgreiche Parteitage.
Es gibt mehr atmosphärische Störungen als sonst: Vermögenssteuer, Autopolitik, ob der Daimler-Chef zum Parteitag kommen darf und: Winfried Kretschmann. Wenn er etwas zur Heteroehe oder zur Kanzlerin sagt, sind die Reaktionen kaum weniger harsch als die Prügel, die EU-Kommissar Oettinger für seine Schlitzaugen-Formulierung bezieht – vom politischen Gegner allerdings.
Die üblichen Aufgeregtheiten von Facebook und Twitter lasse ich mal zur Seite. Wir Grüne sind in einer entscheidenden Phase: Wir spüren, dass es bei der nächsten Bundestagswahl noch mehr auf uns ankommt als bisher. Die Orientierungskraft der früheren Volksparteien geht zurück. Die Herausforderungen, denen wir uns im Land und in der Außenpolitik stellen müssen, werden deshalb größer. Da ist es angemessen, dass wir um den richtigen Kurs ringen.
Ringen um den Kurs – okay. Aber so, wie es gerade läuft?
Nehmen wir mal die Automobilindustrie. Wir sind uns einig, dass man da Druck machen muss. Entscheidend ist nicht, ob ab 2029, 2030 oder 2032 nur noch Autos ohne Verbrennungsmotor auf den Markt kommen. Entscheidend ist, dass wir uns ernsthaft in die Seile legen, damit die etwas selbstgefällige Trödelei der deutschen Autoindustrie aufhört. Wenn Sigmar Gabriel sich jetzt in China beschwert, weil dort ab 2018 eine Quote für Elektromobilität eingeführt werden soll, ist das aberwitzig. Spätestens jetzt muss doch dem Begriffsstutzigsten einleuchten, dass wir ein Geschwindigkeitsproblem haben. Es geht darum, ob eine modernisierte Autoindustrie in zwanzig Jahren noch so ein Arbeitsplatz- und Exportfaktor ist wie heute.
Das sieht Kretschmann ja ähnlich, dennoch wird er wegen seinem Nein zu der Jahreszahl angegiftet, als sei er mit dem Teufel im Bunde.
Manchen Leuten kann es Kretschmann wohl nie recht machen – Jürgen Trittin ist einer davon. Ansonsten begrüße ich auch Streit um den richtigen Weg nach vorne. Aber wenn es bei der grünen Jugend scharfe Töne gibt, das haben Joschka Fischer oder andere in der Vergangenheit genauso abbekommen. Der Weg der Grünen in Baden-Württemberg ist sehr erfolgreich. Davon zu lernen heißt nicht, das eins zu eins auf den Rest der Republik zu übertragen.
Macht Kretschmann selbst deutlich genug, dass er den grünen Weg im Südwesten nicht für den Heilsweg auch im Saarland, in Schleswig-Holstein oder Nordrhein-Westfalen hält
Ja. Kretschmann ist Realo. Auch deshalb steht er immer ganz oben auf der Wunschliste, wenn irgendwo prominente grüne Redner gesucht sind.
Müssen die Grünen ihn aushalten lernen, so wie sie in der rot-grünen Koalitionszeit im Bund Joschka Fischer in der Übervater-Rolle aushalten mussten?
Manchmal höre ich Klagen, dass Kretschmann „schon wieder“ einen Kompromiss macht. Dann sage ich: Ja, was denn sonst? Soll er die Leute auseinandertreiben? Er muss doch zusammenführen, das ergibt sich aus seiner Verantwortung als Ministerpräsident.
Oft hört man in der Partei, dass Kretschmann den Wahlkämpfern 2017 nun die Disziplin schulde, die die Grünen während des Wahlkampfs im Südwesten an den Tag gelegt hätten. Teilen Sie das?
Es wäre unsinnig, den Baden-Württembergern zu sagen: Kümmert euch um euer Bundesland und lasst uns mal die Bundestagswahl 2017 gewinnen. Die Wahlkämpfer für 2017 sind wir alle. Nehmen Sie das Thema Steuern, das wir vor vier Jahren versemmelt haben: Dass die hohen Vermögen in Deutschland auf Kosten des normalen Einkommensteuerzahlers so stark privilegiert sind, das muss sich ändern. Das ist unsere gemeinsame Position – auch die von Kretschmann. Das kann man mit verschiedenen Instrumenten angehen. Da sollten wir pragmatisch sein. Wenn man weiß, dass bei der Vermögensteuer wegen der Einheitsbewertung von Grundstücken die verfassungsmäßigen Risiken besonders groß sind, ist in meinen Augen eine gewisse Vorsicht angemessen.
Erklärt die Festlegung, ohne Koalitionsaussage in den Wahlkampf zu gehen, die Gereiztheit zwischen Realos und Linken?
Der Kurs der Eigenständigkeit, für den ich seit 2005 kämpfe, ist offenkundig viel anstrengender, als sich einfach einem Lager anzuschließen wie 2013. Nach wie vor würden wohl die meisten Grünen eine Koalition mit den Sozialdemokraten vorziehen. Aber das gibt die Arithmetik nicht her. Zudem wollen wir den Anspruch erheben, selbst als Grüne Orientierung anzubieten. Es reicht nicht mehr, Ergänzungspartei zu SPD oder Union zu sein. Diese Lage ist Neuland für uns. Aber unsere Gemeinsamkeiten in den Zielen sind groß genug, dass mir da nicht bange ist.
Mittlerweile gibt es Klagen über die Parteiführung, weil Streit- und Richtungsfragen schwelen, der „Spiegel“ hat Cem Özdemir und Simone Peter zum „Duo Infernale“ ausgerufen...
Ja, früher war alles besser. Zu meiner Zeit im Bundesvorstand hat man Fritz Kuhn, Renate Künast, Jürgen Trittin, Claudia Roth und mich „Das Pentagramm des Grauens“ genannt. Erinnern Sie sich?
  
Wer die Hitze scheut, soll nicht in die Küche?
So ist es.
Wegen der vielen Streitpunkte mehren sich die Klagen über einen Mangel an Führung.
Führung muss auch gewollt sein. Es wäre besser gewesen, den Steuerstreit vor dem Parteitag abzuräumen, ja. Dabei gilt: Dass die Flügel unterschiedliche Akzente setzen, ist eine Stärke, wenn wir das nicht gegeneinander ausspielen. Das muss jetzt der Parteitag leisten.
Ist das Führungsduo schuld am Zwist?
Lassen Sie das mit der Schuld. Bei einer Partei wie den Grünen hängt nie alles an einzelnen Personen. Wenn wir bei der Bundestagswahl eine ausschlaggebende Rolle spielen wollen, müssen sich alle am Riemen reißen.
Gilt das auch für Cem Özdemir und/oder Simone Peter?
Ich war zehn Jahre im Bundesvorstand. Ich kann mich an keinen Monat ohne Kritik erinnern, und das gönne ich denen auch.

Das Gespräch führte Bärbel Krauß