Vor 125 Jahren gastierte der Entertainer Buffalo Bill mit seiner Wild-West-Show in Stuttgart. Das Spektakel begeisterte die Massen: Die ganze Stadt war aus dem Häuschen. Bis zu 8000 Zuschauer lockte es auf den Wasen.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Bis heute hat der Name Buffalo Bill einen Klang wie Donnerhall – er ist für viele Menschen der Inbegriff des wahren Wilden Westens geblieben, dieser Zeit voller Abenteuer und Gefahr und Lagerfeuerromantik. Das alles hat William F. Cody, so sein richtiger Name, tatsächlich in den Jahren von 1857 bis 1872 in den Weiten der amerikanischen Prärie auch erlebt. Vor allem aber war er ein genialer Showkünstler und Selbstvermarkter, der mit seiner „Buffalo Bill’s Wild West“-Schau unglaubliche 30 Jahre lang durch Amerika und Europa zog und überall die Massen begeisterte.

 

Auch in Stuttgart: vom 14. bis zum 19. Oktober 1890 gastierte er auf dem Wasen, täglich besuchten 8000 Menschen die Veranstaltung. Das Stuttgarter „Neue Tagblatt“ schrieb: „Es hat sich uns hier ein Schauspiel gezeigt, so selten und eigenartig, wie es sich nicht wieder bietet.“ Stuttgart war komplett aus dem Häuschen.

Ein Riesenensemble suggeriert den Wilden Westen

Ein großer Eisenbahnzug, aus Frankfurt kommend, war notwendig, um Menschen, Tiere und Material nach Stuttgart zu transportieren. Allein die schiere Masse beeindruckte die Menschen: An der Show nahmen 200 „echte“ Indianer, Cowboys, Kundschafter, Scharfschützen und Reiter teil, daneben 175 Pferde, Ponys, Maultiere – und natürlich Büffel. Schließlich hatte Buffalo Bill seinen Spitznamen von diesem Tier erhalten oder vielmehr von Codys Abschießen unglaublich vieler Exemplare. Es wird erzählt, er habe 1867/68 in 18 Monaten 4282 Tiere erlegt; das Fleisch war für Eisenbahnarbeiter bestimmt.

Daneben glaubten die Menschen, auf dem Wasen zu erleben, wie es im Wilden Westen wirklich zuging. Buffalo Bill zeigte wildes Rodeoreiten, Pferde-Choreografie vom Feinsten und Kunstschützen-Akrobatik, ließ „Angriffe“ von Indianern auf den Deadwood-Postwagen oder auf ein Wirtshaus nachstellen.

Allerdings: im Grunde war diese Schau eine doppelte Illusion. Erstens war der Wilde Westen ganz anders. Buffalo Bill zeigte durchaus Respekt gegenüber den indianischen Stämmen, sonst hätte zum Beispiel der große Häuptling Sitting Bull im Jahr 1885 nicht selbst über Monate hinweg an der Show teilgenommen. Aber in Buffalo Bills Veranstaltung waren die Ureinwohner immer die Aggressoren. Dabei hatten doch die weißen Siedler den Indianern die Lebensgrundlage entrissen und diese nicht selten schlicht ermordet.

Der Wilde Westen als romantisierte Illusion

Und zweitens war, als Buffalo Bill in Stuttgart gastierte, diese heroische Zeit schon vorüber. Die Büffel waren so gut wie ausgerottet. Und ein Jahr zuvor hatte die amerikanische Regierung das letzte Indianerreservat in Oklahoma zur Besiedelung frei gegeben. Damit war der amerikanische Kontinent fest in weißer Hand, die alte Welt weitgehend untergegangen.

Dennoch kann man die Bedeutung dieser Show nicht hoch genug einschätzen. Denn Buffalo Bill hat Klischees entwickelt, die im Laufe der Jahrzehnte Millionen von Menschen gesehen haben und die deshalb bis heute nicht nur im Kino fortwirken – jenes vom romantischen Leben der Cowboys etwa oder jenes vom stolzen, wilden und freien Leben der Indianer.

Bewegter Lebenslauf führt ins Showgeschäft

Dass Buffalo Bill auch in Stuttgart so großen Zulauf bekam, hatte viele Gründe. Zum einen hatte William F. Cody tatsächlich eine spannende Biografie vorzuweisen, auch wenn diese im Laufe der Zeit immer stärker verklärt worden ist. Aber schon als Elfjähriger hat Cody das Elternhaus verlassen und durchquerte als Viehjunge mehrmals die großen Prärien. Später war er Pelzjäger, Goldsucher, Postreiter auf dem legendären „Pony Express“ und zuletzt Kundschafter der US-amerikanischen Armee. Buffalo Bill war gerade 26 Jahre alt, als er dieses Leben an den Nagel hängte und 1872 eine Show kreierte, die, immer weiter ausgefeilt, 1882 in die „Buffalo Bill’s Wild West“ mündete. Bis 1913 war er damit unterwegs, 1917 starb er.

Show war eine Mischung aus Exotik und Vertrautheit

Zum anderen bot das Spektakel auch für die Stuttgarter eine eigenartige Mischung aus Exotik und Vertrautheit. Denn man darf nicht vergessen, dass im 19. Jahrhundert allein aus Deutschland mehrere Millionen Menschen nach Nordamerika ausgewandert waren; die letzte große Welle endete erst 1885, also kurz vor dem Gastspiel in Stuttgart. Fast jeder Zuschauer kannte daher jemanden, der in Amerika lebte und der dort, so glaubte man zumindest, Ähnliches erlebte wie das, was in Buffalo Bills Show vorgeführt wurde.

Das Stuttgarter „Neue Tagblatt“ war jedenfalls so begeistert, dass es dem Ereignis fast eine komplette Seite widmete – selbst wichtigen politischen Begebenheiten wurde damals nicht so viel Platz eingeräumt. Und der Stuttgarter Berichterstatter strickte mit an den tatsächlichen und erfundenen Geschichten, die man sich über den Wilden Westen erzählte. So wird der Sioux-Häuptling Rocky Bear vorgestellt, der als 70-jähriger Mann in der Show mitmachte und der „in den Schlachten im Jahr 1875 dem Obersten Cody noch als Feind“ gegenüberstand. Und als Depeschenreiter habe Bill einmal in 58 Stunden 355 Meilen zurückgelegt, wird erzählt. Das Fazit, das der Redakteur zieht, sieht so aus: „Buntfarbiger und phantastischer als eine Vorstellung der Buffalo Bill-Truppe vermag keine Beschreibung zu malen (. . .), und namentlich unserer Jugend kann sicherlich kein größerer Genuß geboten werden.“

Bills Grab gilt als große Sehenswürdigkeit

In Amerika ist Buffalo Bill bis heute ein Held. Sein Grab und das benachbarte Museum auf dem Lookout Mountain bei Denver gilt bis heute als eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten der ganzen Region. Im Online-Auftritt des Museums sind übrigens Hunderte von Fotos aus den Wildwestshows von Buffalo Bill zu sehen.