Bulgarien und Rumänien sind die häufigsten Herkunftsländer von Zwangsprostituierten. Insgesamt werden 120.000 Frauen jährlich nach Westeuropa geschleust.

Korrespondenten: Thomas Roser (tro)

Belgrad - In der Regel dümpeln die beiden EU-Habenichtse am Ende aller Ranglisten von Europas kriselndem Wohlstandsbündnis. Nur bei den Elendsstatistiken liegen Bulgarien und Rumänien ganz vorn. 120 000 Frauen und minderjährige Mädchen werden nach Schätzungen der EU-Kommission alljährlich für sexuelle Dienstleistungen nach Westeuropa geschleust. Nicht nur in Deutschland führen die beiden EU-Neulinge die Liste der Herkunftsländer der Opfer von Menschenhandel an. Unterschiedlichen Erhebungen zufolge rekrutiert sich mehr als ein Drittel der Zwangsprostituierten in der EU aus den beiden benachbarten Balkanstaaten.

 

Der freie Personenverkehr erleichtert den Transport

Nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Staatenwelt Ende der 80er Jahre galten osteuropäische Länder wie Russland, Ukraine, Weißrussland, Moldawien oder auch Albanien lange als bevorzugtes Jagdrevier der Menschenhändler. Doch seit ihrem Beitritt 2007 sind die EU-Neulinge Bulgarien und Rumänien zu deren Eldorado mutiert. Der freie Personenverkehr innerhalb der EU erleichtert Transport und Aufenthalt der Mädchen an ihrem west- oder südeuropäischen Einsatzort: Offiziell als Touristinnen eingereist, können sie als EU-Bürgerinnen kaum abgeschoben werden. Die zunehmende Verelendung von sozial benachteiligten Minderheiten in Bulgarien und Rumänien garantiert den Frauenhändlern Nachschub: Oft stammen die Mädchen aus zerrütteten Roma-Familien.

Es ist die Hoffnung auf ein besseres Leben, die junge Bulgarinnen und Rumäninnen ins Ausland und in die Fänge von Menschenhändlern treibt. Meist reagierten die Mädchen auf die von den Menschenhändlern geschickt gestreute Mund-zu-Mund-Propaganda, die sie über Bekannte oder Freunde aufschnappen, berichtet die rumänische Kinderschutz-Aktivistin Iana Matei. Sie betreibt ein Heim für minderjährige Opfer der Sexindustrie: „Sie gehen mit Leuten, denen sie vertrauen.“

Die Menschenhändler kommen zufällig ins Gespräch

In den Discotheken und Kneipen in der Provinz sprechen die Menschenhändler ihre Opfer nicht immer direkt mit dem Versprechen einer vermeintlich gut bezahlten Arbeit als Kellnerin, Putzfrau, Kindermädchen oder Erntehelferin an. Oft spendieren sie ein paar Drinks, um scheinbar zufällig ins Gespräch zu kommen. Leutselig erzählen sie ihnen von ihrem Chef in Deutschland, Österreich oder Spanien, der angeblich händeringend noch nach zwei, drei jungen Frauen als Aushilfe suche. Manchmal verbreiten sie auch unter den Leuten, die vor den Botschaften auf Arbeitsgenehmigungen warten, eine ähnliche Mär. Die Mädchen erfahren dann von den eigenen Freunden von der vermeintlichen Jobgelegenheit in der Fremde.

Manchmal werden Mädchen auch direkt von Angehörigen oder Bekannten an Zuhälter und Menschenhändler verkauft, manchmal von sogenannten „Loverboys“ unter Vortäuschung vermeintlicher Liebe in die Falle der Prostitution gelockt. Einmal außer Landes gebracht, sei der Verbleib der Mädchen seit Rumäniens EU-Beitritt wegen der gelockerten Grenzkontrollen kaum mehr zu verfolgen, klagt Iana Matei: „Auch für die Regierung ist es leichter geworden, das Problem des Menschenhandels zu verleugnen: Sie behauptet nun, dass es sich um Prostituierte handele, die das Recht hätten, innerhalb der EU frei zu reisen.“

Häufig gehören die Opfer der Minderheit der Roma an

Meist haben die Opfer von Menschenhandel keine Schulen abgeschlossen, stammen aus zerrütteten Verhältnissen – und gehören häufig der Minderheit der Roma oder der bulgarischen Türken an. Nicht nur die Erniedrigung, als Objekt an die Sexindustrie verkauft und in der Fremde zum Geschlechtsverkehr mit 15 bis 20 Kunden pro Tag gezwungen zu werden, mache traumatisierten Zwangsprostituierten nach ihrer Heimkehr zu schaffen, berichtet Matei: „Wenn die Mädchen da endlich rauskommen, bekommen sie von Freunden und Angehörigen oft noch zu hören, dass ihr Schicksal ihr eigener Fehler sei.“

Obwohl ihnen der Großteil ihrer Verdienste von ihren Zuhältern abgepresst wird, wagen es nur wenige, vor Gericht gegen ihre Peiniger auszusagen. Relativ geringe Haftstrafen und unterschiedliche Gesetzgebung zur Prostitution in der EU, die in einigen Ländern legalisiert, in Schweden aber beispielsweise verboten ist, erleichtern den Frauenhändlern das Geschäft. „Kriminelle, die smart sind, verkaufen keine Drogen, sondern Kinder“, sagt Iana Matei bitter: „Das ist der leichteste Weg, um Geld zu machen.“