Frank-Jürgen Weise, Chef der Bundesagentur für Arbeit, ist für eine Aussetzung der Vorrang-Prüfung, nach der EU-Bürger bei der Stellenvermittlung gegenüber anderen Nationen bevorzugt werden.

Nürnberg - – - Die deutsche Wirtschaft ist angesichts des Fachkräftemangels in vielen Branchen auf Zuwanderer angewiesen. Im Gespräch mit der Stuttgarter Zeitung erklärt der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, wie es gelingen soll, auch die teils hoch qualifizierten Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren und welche Hürden dabei zu überwinden sind. Als größte Hemmnisse beim Einstieg nennt der BA-Chef mangelnde Sprachkenntnisse, Schwierigkeiten bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen und andere bürokratische Hürden, etwa die Vorrang-Prüfung. Die Bundesagentur werde im kommenden Jahr 200 Stellen für Mitarbeiter mit speziellen Sprachkenntnissen und Wissen um den kulturellen Hintergrund der Flüchtlinge schaffen.
Herr Weise, die Bundesländer gehen mittlerweile von 800 000 Asylanträgen für dieses Jahr aus. Rechnen Sie angesichts dieser Zahlen mit einem Anstieg der Arbeitslosenzahlen noch in diesem oder im nächsten Jahr?
Das Thema Arbeit kommt zeitversetzt zu den Asylverfahren auf uns zu. Trotz der hohen prognostizierten Zahl der Flüchtlinge erwarten wir für dieses Jahr weiter einen Rückgang der Arbeitslosigkeit. Das liegt an der Dauer der Asylverfahren, der Dreimonatsfrist (vor einer Arbeitsaufnahme, a. d. Red.) und der Zeit, die für den Spracherwerb in Deutschkursen benötigt wird. Für nächstes Jahr liegen zwar noch keine konkreten Prognosen vor, aber es ist zu erwarten, dass nicht alle Flüchtlinge gleich eine Arbeit finden werden, so dass die Zahl insgesamt wohl kaum zurückgehen wird.
Von welcher Größenordnung gehen Sie aus?
Wir haben mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales darüber gesprochen, was da auf uns zukommen wird. Klar ist: die Zahlen werden steigen. Eine konkrete Zahl zu nennen, wäre zum augenblicklichen Zeitpunkt aber unredlich. Da sind aktuell noch zu viele Faktoren unklar. Wir müssen außerdem davon ausgehen, dass wir es im kommenden Jahr mit einem Zuzug in ähnlicher Dimension zu tun bekommen.
Wie sieht die Perspektive für diese Menschen aus?
Sie melden sich zuerst in einer Agentur, dort startet ein Prozess mit Beratung und Vermittlung, der bei vorhandenen Sprachkenntnissen in vielen Fällen auch erfolgreich ist. Das sehen wir bei den Flüchtlingen, die schon länger als ein paar Monate hier sind. Wenn es bei der Anerkennung der bisherigen Berufserfahrung und mit der Sprache einigermaßen läuft, dann haben wir es häufig auch mit qualifizierten und gesuchten Menschen zu tun. Auf Fachkräfte warten viele offene Stellen.
Der größere Teil wird allerdings nicht sofort in den Arbeitsmarkt integriert.
Das ist richtig. Wir rechnen sogar damit, dass bis zu 90 Prozent der Betroffenen den Weg über die Grundsicherung nehmen müssen. Da gibt es auch einen nennenswerten Förderbedarf. Viele dieser Menschen sind aber noch recht jung und haben durch Bürgerkrieg teilweise Ausbildung oder Studium abgebrochen. Da kann man ansetzen. Das braucht aber dann Zeit, während der die jungen Menschen häufig auch auf Grundsicherung angewiesen sein werden.
Wie geht es dann mit ihnen weiter?
In der Grundsicherung gibt es weitere Sprachkurse sowie Förder- und Qualifizierungsangebote für sie, damit sie nach einer gewissen Zeit in Arbeit finden.
Wie viel zusätzliches Personal benötigt die Bundesagentur für die Vermittlung von Flüchtlingen?
Wir werden im Bereich der Arbeitslosenversicherung bis zum kommenden Jahr 200 Stellen in diesem Bereich schaffen.
Welche finanziellen Mittel stehen Ihnen für die Integration zur Verfügung?
Für dieses Jahr hat unser Verwaltungsrat für die Arbeitsagenturen 50 Millionen Euro freigegeben. Sie kommen aus der sogenannten Interventionsreserve. Das ist Geld, das wir vorhalten für konjunkturelle und sonstige unerwartete Sonderentwicklungen am Arbeitsmarkt. Unser Verwaltungsrat will damit auch ein politisches Zeichen setzen: Wir investieren in die Menschen.