Das Vorgehen gegen „Netzpolitik.org“ wirft zahlreiche Fragen auf und hat das Zeug zu einem Justizskandal, meint StZ-Redakteur Christian Gottschalk. Dass die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen aussetzt ändert daran nichts.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - In Russland, in der Türkei, in zahlreichen anderen Ländern, die es mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nicht so genau nehmen, ist der Vorwurf des Landesverrats ein beliebtes Mittel, um die Opposition mundtot zu machen. In Deutschland ist das nicht der Fall. Die entsprechende Vorschrift des Strafgesetzbuches kommt selten zum Einsatz. Dass Journalisten ins Visier der Ermittler geraten, ist erst recht kein normaler Vorgang. Der Sturm der Entrüstung, der sich am Freitag über die Generalbundesanwaltschaft entlud, ist daher verständlich. In Windeseile hat deren Chef Harald Range die Ermittlungen gegen „Netzpolitik.org“ erst einmal ausgesetzt. Das ist gut so. Aber es kann nicht davon ablenken, dass die Welt, in der Regierungen, Geheimdienste und Journalisten miteinander auskommen müssen, aus den Fugen gerät.

 

Wenn es darum geht, das Treiben des US-Geheimdienstes NSA und der deutschen Kollegen vom BND zu beobachten, dann herrscht der Eindruck, dass sich die Bundesanwälte zum Jagen tragen lassen. Die Ermittlungen gegen die bei Kanzlergesprächen mithörenden US-Schlapphüte: eingestellt. Maßnahmen gegen den mit der NSA bei Firmen lauschenden BND: man prüft seit Wochen die Zuständigkeit. Und nun der Eiertanz ganz besonderer Art. Ermittlungen wegen Landesverrats – es ist eine gewaltige Keule, die da am Morgen aus der Asservatenkammer des Rechts geholt worden ist. Und es ist eine mehr als fragliche Handhabe, wenn die Strafverfolgungsbehörde die Keule erst einmal schwingt, um sie nach wenigen Stunden wieder in die Ecke zu stellen. Der Verdacht, dass Heiko Maas seinen Chefermittler zurechtgewiesen hat, liegt da nahe. Es wäre nicht die schlechteste Weisung aus dem Bundesjustizministerium. Die wirft jedoch eine Reihe von Fragen auf. War das Haus nicht zuvor informiert worden? Hat ein anderes Ministerium von den Plänen gewusst? Wurden diese sogar gebilligt? Die Ermittlungen gegen „Netzpolitik.org“ mögen ruhen – doch die Angelegenheit hat das Potenzial für einen justizpolitischen Skandal.

Wer in Berlin wann wie viel gewusst hat, ist die eine Seite, die es aufzuklären gilt. Auf der anderen Seite geht es um das Selbstverständnis der Dienste und Ermittler. Natürlich ist es für die Bundesanwälte mit weniger Schwierigkeiten verbunden, gegen zwei deutsche Blogger vorzugehen, als Maßnahmen gegen einen der weltweit größten Geheimdienste zu ergreifen. Das darf aber kein Maßstab für ein Tätigwerden sein. Wer das ursprüngliche Handeln der Behörde ernst nimmt, kommt daher zu dem Schluss, dass der Bundesrepublik weniger Schaden durch Geheimdienste droht, die Bevölkerung und Wirtschaft aushorchen, als vielmehr durch Journalisten, die über solche Vorgänge berichten. Das ist keine Schlussfolgerung, die Beifall verdient.

Es ist nachvollziehbar, dass der Verfassungsschutz, aus dessen Innenleben „Netzpolitik.org“ berichtet hat, eigene Schwachstellen beseitigen möchte. Dass er dies nicht selber schafft, sondern Amtshilfe der Bundesanwälte benötigt, ist bedenklich. Noch sehr viel bedenklicher ist, dass diese nicht die Plaudertaschen ins Visier nehmen wollten, sondern die Verbreiter der Nachricht. Die ist – mit Verlaub – nicht gerade staatsgefährdend.

Noch ist nicht sicher, ob die Ermittlungen auf Dauer beendet werden oder ob nicht doch eine Anklage folgen wird. Es gäbe dann die Chance, dass die Keule des Rechts diejenigen trifft, die sie schwingen. Dass die Pressefreiheit von den Gerichten nicht nur bestätigt, sondern gestärkt wird. Diese Chance gibt es freilich schon jetzt. Das Bundesverfassungsgericht berät derzeit über das BKA-Gesetz. Das sieht massive Eingriffe in bestehende Zeugnisverweigerungsrechte vor. Ein klares Signal zur Pressefreiheit ist nach den aktuellen Vorgängen mehr als angebracht.