Exklusiv Finanzminister Wolfgang Schäuble sieht in der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns Risiken für die Entwicklung am Arbeitsmarkt. Der Finanzminister warnt in der Kabinettsvorlage zum Haushalt 2015 davor, dass die Dynamik am Arbeitsmarkt nachlassen könne.

Berlin - Mit der Null kennt sich keiner aus. Ein hoher Beamter aus dem Bundesfinanzministerium hat jüngst berichtet, dass man in der Behörde an der Berliner Wilhelmstraße nachgefragt habe, ob jemand wisse, auf welchem Weg Schulden zurückbezahlt werden. Selbst die ältesten Kollegen konnten darauf nicht antworten. Was als scherzhafte Anekdote gemeint war, enthält einen wahren Kern. Seit 45 Jahren hat es keinen Bundeshaushalt mehr ohne neue Schulden gegeben. Immer klaffte in den vergangenen Jahrzehnten eine Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben, die mit neuen Krediten gestopft worden ist. Damit soll 2015 Schluss sein. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) plant die Null.

 

Das Bundeskabinett wird heute den Finanzetat 2014 und die 110-seitige Finanzplanung beschließen, die in den Jahren 2015 bis 2018 keine neue Schulden mehr vorsieht. Allerdings hat sich Schäuble vorläufig davon verabschiedet, Haushaltsüberschüsse anzupeilen und Schulden zu tilgen. Schäuble spricht dennoch von einem Meilenstein und von einem Beitrag zur Generationengerechtigkeit. Doch Papier ist geduldig. Der Nachweis steht noch aus. Da es mit der Konjunktur aber bergauf geht und die Steuereinnahmen sprudeln, stehen Schäubles Chancen gut, dass sein Kalkül aufgeht. Der 71-Jährige weiß aber aus seiner Erfahrung, dass immer etwas dazwischen kommen kann. Aus diesem Grund hat Schäuble mit Vorsicht rechnen und Reserven im Etat einbauen lassen. Das Zahlenwerk wäre nur bei einem Konjunktureinbruch in Gefahr.

Die Botschaft ist klar: keine Mehrausgaben mehr

Das größte Risiko für den Haushalt geht davon aus, dass rasch der Eindruck aufkommen könnte, mit dem Zahlenwerk sei doch alles prima und die Politik könne sich spendabel zeigen. Wie sehr Schäuble diesen Eindruck fürchtet, macht er in der Vorlage für das Kabinett deutlich. Ungewöhnlich ist, dass der Kassenwart die Anstrengungen der früheren schwarz-gelben Koalition in den höchsten Tönen lobt. „Dieser Erfolg fußt auf dem in der letzten Legislaturperiode eingeschlagenen Kurs einer wachstumsfreundlichen Konsolidierung“, heißt es in dem Papier. Die Botschaft des Ministers ist klar: Zu den im Koalitionsvertrag vereinbarten Mehrausgaben dürften keine neuen Belastungen hinzukommen. Wie sehr das Finanzressort den Übermut der großen Koalition fürchtet, zeigt sich an einer anderen Stelle. In ungewöhnlicher Form geht der Finanzminister im Haushaltsentwurf auf Distanz zum geplanten gesetzlichen Mindestlohn. Die flächendeckende Lohnuntergrenze ist eines der wichtigen Vorhaben der schwarz-roten Koalition.

Offenbar sieht das Finanzministerium die Gefahr, dass die gute Entwicklung am Arbeitsmarkt durch den gesetzlichen Mindestlohn beeinträchtigt werden kann. Für das Jahr 2015 erwartet die Regierung, dass die Arbeitslosigkeit weniger zurückgeht als in diesem Jahr. Die Zahl der Menschen ohne Job werde dann um 10 000 auf 2,92 Millionen sinken. In der Kabinettsvorlage heißt es, die Dynamik auf dem Stellenmarkt könne nachlassen. „Als belastender Faktor könnte sich die Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns erweisen“, steht in der Kabinettsvorlage.

Der Mindestlohn kann sich schnell als Jobrisiko erweisen

Die Zahl der Erwerbslosen wird nach den Prognosen der Regierung bis 2018 nur noch leicht zurückgehen. Berlin erwartet bis dahin 2,8 Millionen Menschen ohne Job. Das Finanzministerium macht sich Sorgen, dass die Zahl der Langzeitarbeitslosen auf hohem Niveau verharrt. Im Haushalt ist bereits berücksichtigt, dass jährlich 1,4 Milliarden Euro zusätzlich für das Arbeitslosengeld II ausgegeben werden muss. Der Mindestlohn kann sich schnell als Jobrisiko erweisen.

Zu Diskussionen in der Koalition dürfte auch führen, dass sich Schäuble trotz erheblicher Mehreinnahmen knausrig zeigt. In einem geschickten Schachzug gelang es Schäuble während der Koalitionsverhandlungen, die Erwartungen zu dämpfen. Union und SPD vereinbarten, mehr Geld für Bildung, Verkehrsinvestitionen, Kommunen und Entwicklungshilfe auszugeben. Diese Mehrausgaben belaufen sich bis 2017 auf insgesamt 23 Milliarden Euro. Weil Schäuble Reserven im Etat versteckte, fällt ihm die Finanzierung dieser Lasten leicht. Die zusätzlichen Milliardensummen wegen der Rentenverbesserungen werden vorläufig aus der Rentenkasse bezahlt.

Die Haushaltslage weckt Begehrlichkeiten

Die bessere Haushaltslage weckt aber Begehrlichkeiten. Dies gilt vor allem mit Blick auf die kräftig sprudelnden Steuereinnahmen. In der Zeit von 2013 bis 2018 steigen die Steuereinnahmen des Bundes laut Regierungsprognose um 52 auf 312 Milliarden Euro. Mit der Steuerschätzung im Mai könnten die vorhergesagten Zuwächse sogar noch höher ausfallen. In der Koalition gibt es schon Stimmen, die beispielsweise eine Erhöhung der Ausbildungsförderung Bafög fordern. Auch Länder und Kommunen wollen mehr.

Auch der Ruf nach mehr Mitteln für die Infrastruktur wird lauter. Das von der Koalition propagierte Investitionsprogramm für Straße und Schiene fällt nach Planung des Finanzministers bescheiden aus. Jährlich will die Koalition dafür 1,25 Milliarden Euro mehr ausgeben, lautet die Verabredung. In diesem Jahr sollen es nur 500 Millionen Euro zusätzlich sein, die Summe wächst auf bis zu 1,65 Milliarden Euro. Die Investitionen bleiben 2015 mit 26 Milliarden Euro auf dem Niveau von vor gut zehn Jahren. Berücksichtigt man die Inflationsrate, gibt der Staat immer weniger für die Erhaltung der Infrastruktur aus.

Auf solide Finanzen ist vor allem die Union stolz

Bisher konnten Merkel und Schäuble die Kritiker in den eigenen Reihen damit besänftigen, dass der Etatausgleich Vorrang habe. Auf solide Finanzen ist vor allem die Union stolz. „Mit der Finanzplanung werden alle Haushaltsziele der Koalition erreicht“, sagt der CDU-Haushaltspolitiker Norbert Barthle. „Jetzt müssen wir den Erfolg einfahren“, meint er. Was darunter zu verstehen ist, darüber gibt es in der Koalition viele Fantasien.