Warum ihn der VfB geschockt hat und wie die Saison endet, sagt uns der Weltmeister im Interview.

Stuttgart. Sieben Jahre lang, in exakt 191 Bundesligapartien, hielt er für den VfB die Knochen hin, vier Tore gelangen ihm dabei – Thomas Berthold hinterließ in Stuttgart Eindruck. Wegen seiner kompromisslosen Spielweise als Verteidiger, die ihn zum Stammspieler in der Nationalmannschaft und sogar zum Weltmeister 1990 machte; und auch wegen seiner Meinung, die er gelegentlich laut dachte und damit provozierte. Klare Worte findet Berthold auch nun wieder, in der größten VfB-Krise der letzten zehn Jahre. Ein Interview mit Einem, der die Zukunft seines früheren Vereins sehr kritisch sieht.

 

Herr Berthold, nach dem Abpfiff der Partie gegen Kaiserlautern (2:4) hingen die Schultern der VfB-Spieler schlaff herunter, die Blicke gingen ins Leere. Erschreckend, oder?

Ich muss gestehen, dass ich dieses Spiel mir noch gar nicht anschauen konnte. Trotzdem war ich vom Ergebnis geschockt. Und ich habe schon einiges zu diesem Auftritt gehört.

Warum haben Sie ausgerechnet diese wichtige Partie nicht verfolgen können?

Ich war am Samstag als Experte im Fernsehstudio von „Liga total!“. Als ich am frühen Abend in München ins Flugzeug eingestiegen bin, lag der VfB Stuttgart mit 2:1 vorne. Als ich in Frankfurt gelandet bin, stand es 2:4.

Und Ihre Erklärung?

Der Kopf spielt sowieso eine große Rolle in diesem Sport – aber nun, in diesem engen Abstiegskampf, eine noch größere. Trainer Bruno Labbadia muss auf die Akteure zurückgreifen, auf die er sich verlassen kann, die mit dem Druck klarkommen.

Da es mit Niedermeier zuletzt klappte, war Delpierre gegen Lautern draußen. Auch der angeschlagene Cacau stand nicht in der ersten Elf – meinen Sie diese Beiden?

Ach, ganz im Ernst: Ich weiß gar nicht, wer im Moment beim VfB das Ruder rum reißen könnte. Auch Christian Träsch, lange ja eine Konstante, agierte zuletzt fahriger. Grundsätzlich fehlen die Führungsspieler, das sehe ich aber in der ganzen Bundesliga.

Trotzdem lag das Labbadia-Team fast 70 Minuten lang gegen den FCK vorne.

Klar, das ist wirklich extrem bitter. Zuhause gegen einen Mitkonkurrenten ein Sechs-Punkte-Spiel noch aus der Hand zu geben, ist enttäuschend und schwach. Und dann gewinnt Gladbach auch noch einen Tag später gegen Köln.

Geben Sie dem Tabellenletzten noch eine Chance auf den Klassenerhalt?

Nein, eigentlich nicht. Ich habe in den vergangenen Wochen immer gesagt, dass Borussia Mönchengladbach und St. Pauli absteigen und dabei bleibe ich auch. Gladbach hat zwar gut aufgeholt, aber trotzdem erst 26 Punkte. Es sind nur noch fünf Partien und selbst wenn Gladbach drei gewinnen würde, hätten sie 35 Punkte. Das reicht nicht. 

So denkt Thomas Berthold über die anderen Teams

Für wen reicht’s denn dann? Gehen wir die Teams doch mal durch.

Der FC St. Pauli hat ein schweres Restprogramm, zudem einen Negativlauf. Und dann noch die Bekanntgabe der Stanislawski-Trennung – das alles ist eine schlechte Konstellation. Sicher, St. Pauli hat mit 28 Punkten aktuell zwei mehr als Gladbach, aber für die Beiden wird’s nix mehr. Sie landen auf den direkten Abstiegsplätzen.

Den Relegationsplatz hat gerade der VfL Wolfsburg inne. Sie meinen, Felix Magath packt’s?

Naja, selbst ein großer Trainer wie Magath ist keine Garantie nicht abzusteigen. Aber Wolfsburg hat durch die Heimspiele gegen Köln, Lautern und St. Pauli das leichteste Restprogramm der Abstiegskandidaten. Das Team hat in vielen Spielen viele Chancen liegengelassen, trotzdem traue ich ihm mindestens neun Punkte aus den letzten fünf Spielen zu. Das reicht für die Bundesliga.

Eintracht Frankfurt?

Die Eintracht hat den großen Vorteil, dass sie schon 33 Zähler hat … ich glaube, dass sie allenfalls noch gegen Köln gewinnt und vielleicht jetzt in Hoffenheim einen Punkt hält. Das ist aber auch schon alles.

Dem 1. FC Kaiserslautern trauen Sie …

 … nach diesem großen Sieg in Stuttgart den Klassenerhalt zu, genau. Auswärts hat der FCK aus den letzten drei Spielen sieben Punkte geholt, das ist respektabel und sorgt für positive Stimmung. Auch der 1. FC Köln wird die Klasse halten.

Trotz des 1:5 in Gladbach?

Ach, sicher. Köln hat schon 35 Punkte und sieben Heimspiele in Folge gewonnen! Sicherlich sind das hier alles Rechenspiele, das weiß ich auch – aber was soll denn da noch passieren? Für den VfB wird es verdammt schwer am Samstag beim FC.

Wir halten fest: Gladbach und St. Pauli steigen direkt ab. Wer wird 16. und muss am 19. und 25. Mai in die Relegation?

Entweder Eintracht Frankfurt oder der VfB Stuttgart – und ich tendiere zum VfB.

Damit machen Sie sich keine Freunde in Stuttgart.

Klar. In der Relegation aber – egal ob gegen Augsburg, Bochum oder Fürth – hätte der VfB klare Vorteile. Psychologisch ist der Zweitligist zwar im Aufwind, aber in Hin- und Rückspiel werden sich die Erstligisten durchsetzen. Das haben wir doch schon letztes Jahr gesehen, als Nürnberg die Augsburger klar bezwingen konnte (1:0 und 2:0/die Redaktion).

Also rettet sich der VfB so eben, alles ist wieder in Butter und sie bewerben sich um Präsidenten-Amt?

Von wegen! Dass mein Name da mal irgendwann im Zusammenhang mit Hansi Müller und Karl Allgöwer gehandelt wurde, habe ich gleich dementiert. Mit denen habe ich nichts zu tun. Ich habe keinerlei Ambitionen. Aber klar ist doch: Der Klub braucht frischen Wind, in den oberen Etagen muss man mal kräftig durchlüften. Unabhängig von einem Abstieg oder dem Klassenerhalt.