Die Öko-Partei hat ihren Parteitag inszeniert wie selten zuvor, für das Wahlprogramm gibt es eine enorme Zustimmung.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Mit dem Bühnenbild gleich zu Beginn nimmt Cem Özdemir, Spitzenmann im Bundestagswahlkampf, das Ergebnis des Grünen-Parteitages praktisch vorweg: Alle Bundestagskandidaten hat er vor seiner Rede nach vorne geholt. Und während der Parteivorsitzende im Berliner Velodrom da über die Freiheit Europas, die Abschaltung der zwanzig schmutzigsten Kohlekraftwerke bis 2020 und die Zukunftssicherung der Autoindustrie redet, die Arme hochreißt und allmählich das Hemd durchschwitzt, spenden diese hinter ihm ein ums andere Mal Szenenapplaus – eine Stunde lang.

 

Der Spitzenkandidat, der die Urwahl nur mit einem Ach-und-Krach-Vorsprung von 75 Stimmen vor dem Kieler Umweltminister Robert Habeck gewonnen hat und dem die häufig kritisierte Langeweile des grünen Spitzenpersonals sowie die mageren Umfrageergebnisse besonders angekreidet werden, ist dabei, die Startschwierigkeiten im Wahljahr abzuschütteln.

Basis stellt sich hinter Spitzenteam

Am Ende des Parteitags ist eingelöst, was man sich fest vorgenommen hat: Die Partei steht hinter Özdemir und seiner Tandempartnerin Katrin Göring-Eckardt. Die Grünen wollen kämpfen. Das liegt nicht allein an den inszenierten Bildern, die die Geschlossenheit der Partei ins Fernsehformat übersetzen. Tatsächlich ziehen die Grünen an einem Strang – von Özdemir bis Göring-Eckardt, von Winfried Kretschmann bis Jürgen Trittin, von Toni Hofreiter bis Robert Habeck, von Claudia Roth bis Irene Mihalic. Flügelübergreifend bekennen sich alle, die Rang und Namen haben in der Partei, zum Regierungskurs. Und sie gehen gegen die laut Umfragen grassierende Unterstellung an, die das größte Problem der Grünen in diesem Wahljahr ist: dass die Ökopartei heute nicht mehr gebraucht wird, weil auch die anderen politischen Kräfte sich für die Umwelt einsetzten.

„Das Eis der Arktis interessiert nicht, ob es wegen amerikanischer Blödheit schmilzt oder wegen deutscher Trägheit“, wettert Özdemir und betont, dass es die Grünen braucht, um die deutsche Wirtschaft erneuerbar, digital und effizient zu gestalten und dafür zu sorgen, dass das Auto der Zukunft in Deutschland gebaut wird. „Die Grünen sind relevant, weil sie relevante Themen vertreten“, sekundiert Kretschmann. Lediglich die Grünen träten dafür ein, dass die UN gestärkt und Militäreinsätze nur mit ihrem Mandat durchgeführt werden, betont Jürgen Trittin. Toni Hofreiter wettert, dass der CO2-Ausstoß in acht Jahren Merkel gleichgeblieben ist und dass es Grüne in der Bundesregierung braucht, um nach dem Atom- nun auch den Kohleausstieg durchzusetzen.

Klimaschutz und Homo-Ehe

„Ja, wir wollen regieren. Aber wir werden nicht regieren, wenn nicht die entscheidenden Schritte passieren“, ruft Hofreiter in den tobenden Saal. „Wir wollen ein modernes Land, in dem es heißt: Erde first! Weltoffenheit first! Gerechtigkeit first!“, sagt Katrin Göring-Eckardt. Sie attackiert Martin Schulz als „Vertreter der alten Kohle-SPD“, Angela Merkel, Sahra Wagenknecht und Christian Lindner als „Klimaamateure“. Die Konkurrenz redet zwar darüber, so die Botschaft der Grünen, aber ernsthaft handeln wollen nur sie selbst.Die Parteitagsregisseure, die sich viel von amerikanischen Inszenierungen abgeschaut haben, können zufrieden sein. Die Delegierten sind augenscheinlich glücklich über die durch den Einsatz von Rhethorik-Trainern im Vorfeld perfektionierten Reden von Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt sowie über die inszenierten Bilder der Geschlossenheit. Von wenigen Ausnahmen abgesehen wird die programmatische Linie der Parteispitze akzeptiert.

Wenige Gegenstimmen

Dass die Festlegung auf die Homo-Ehe als einzige rote Linie für eine Koalition genannt wird, hat der scheidende Bundestagsabgeordnete Volker Beck der Parteispitze im Alleingang abgepresst. Dass trotz Winfried Kretschmanns Bedenken nun doch die Jahreszahl 2030 für das Ende des Verbrennungsmotors in der Kurzfassung des Wahlprogramms steht, ist dem Druck vieler hinter den Kulissen geschuldet.

Am Ende gibt es nur ein paar wenige Gegenstimmen zum Wahlprogramm. Weder der Ausschluss einer Koalition – etwa mit der CSU – noch die Festlegung auf Rot-Rot-Grün hatten auch nur den Hauch einer Chance. Am Ende tanzen Göring-Eckardt und Özdemir, umringt von Präsidiumsmitgliedern, zu Nenas altem Hit „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“. So viel inszenierte Leichtigkeit des Seins ist zwar angesichts der mageren Umfragen völlig übertrieben, aber das Mutmachen für den Wahlkampf hat in den eigenen Reihen anscheinend geklappt. Was auch damit zu tun haben könnte, dass der Schleswig-Holsteiner Robert Habeck die Lage tags zuvor treffend auf den Punkt gebracht: „Fassen wir uns ein Herz und gewinnen die verdammte Wahl.“