Die Grünen haben einen neuen Star, und der designierte Stuttgarter OB Fritz Kuhn bedankt sich artig. Eine Mahnung hat er für seine Partei freilich auch: Wünschen und Können ist zweierlei.

Hannover - Natürlich schlägt die Urwahl durch auf diese Bundesdelegiertenkonferenz im Kongresszentrum in Hannover. 72 Prozent für einen einzigen Politiker, den Fraktionschef Jürgen Trittin, das hat es bei den Grünen nicht mal in den Zeiten von Joschka Fischer gegeben. Der habe sich doch so einem Votum nie gestellt, hieß es am Freitag an den Stehtischen der Delegierten. „Der Jürgen hat den ganzen Laden hinter sich. Das ist unser bester Mann an der Spitze“, lobt etwa Anja Piel. Die niedersächsische Spitzenkandidatin der Grünen verspricht sich von einem spannendem Parteitag an der Leine noch Rückenwind für den Wahlkampf, denn am 20. Januar wird in Niedersachsen gewählt.

 

Es scheint die Stunde der starken Männer bei den Grünen zu sein, wenngleich der erste grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann als Redner gar nicht gesetzt ist auf dem Drei-Tage-Spektakel – wegen der „übervollen Tagesordnung“, wie Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke es begründete. Ein Lob für Kretschmann kam von Hannovers Oberbürgermeister Stephan Weil, der als SPD-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl im Januar Schwarz-Gelb ablösen und mit den Grünen regieren will. Er sei ihm „sehr dankbar“, dass er die Tür zur Atomlagerdebatte wieder geöffnet habe.

Den ersten Höhepunkt des Parteitages setzte ein anderer Baden-Württemberger, der designierte Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn. Das sei das wichtigste Ereignis des Jahres, dass ein Grüner erstmals in einer Landeshauptstadt gewählt worden sei, rühmte Parteichef Cem Özdemir, der für seine kämpferische Rede mit integrationspolitischen Schwerpunkten starken Beifall erhielt. Kuhn selbst dankte seiner Partei in Kreis, Land und Bund für die „breite Unterstützung“, die er erfahren habe. Es sei gut, eine starke Partei hinter sich zu haben. Er versuche in der „Autostadt Stuttgart“ Ökologie, Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit zusammenzubringen, sagte Kuhn. Dabei sieht er die Grünen „im fortschrittlichen Teil des Bürgertums“ stark verankert. Emotional wurde Kuhn bei seiner Ablehnung von schwarz-grünen Planspielen: „Die SPD hat mich unterstützt im Wahlkampf, die CDU hat mich geschmäht und runtergemotzt. Wieso sollte ich mit der CDU koalieren, von der ich gerade die Fresse voll bekommen habe!“ rief Kuhn. Masochist sei er nicht. Auch Kuhn huldigte dem neuen starken Mann der Grünen: Falls man nach einem rot-grünen Wahlsieg einen „Finanzminister Trittin“ habe, sagte er, dann erwarte er, dass etwas für die Gemeinden getan werde.

Kuhn mahnt Realitätssinn an

Am Ende konnte es sich Kuhn, dem manche eine belehrende Art unterstellen, nicht verkneifen, den 800 Delegierten einen Rat zu erteilen. Sie sollten genau unterscheiden zwischen klaren Versprechungen einerseits und Vorhaben, „die man gerne hätte“ andererseits. Nach seiner Rede umarmte Parteichefin Claudia Roth den neuen OB und reichte dem passionierten Jogger einen grünen Kapuzenpulli mit der Inschrift „Das fritzt“. Kuhns Ermahnung zu mehr Realitätssinn könnte in der für heute geplanten Debatte über Sozialpolitik wichtig werden. Es liegen Anträge zur Erhöhung des Hartz-IV-Satzes auf 470 Euro und einer Kindergrundsicherung vor.

Am Abend riss vor allem Trittin in einer fulminanten Rede zu allen grünen Politikfeldern den Saal zu minutenlangen Begeisterungsstürmen hin. Er propagierte den „grünen Wandel“ und warf Kanzlerin Merkel eine „schäbige“ Sozial- und Europapolitik vor. Bei der Wahl 2013 gehe es um „Merkel oder grün“, sagte Trittin. Man werde „Crazy Horst“, gemeint ist Horst Seehofer, nach Ingolstadt und Merkel nach Templin schicken, sagte er. Zuvor hatte die zweite Spitzenkandidatin, Katrin Göring-Eckardt, in einer achtbaren Rede dem Umweltminister Peter Altmaier (CDU) eine „Vollbremsung bei der Energiewende“ und der schwarz-gelben Regierung eine unchristliche Politik bei der Behandlung von Roma -Flüchtlingen vorgeworfen.