Joachim Gauck, in der DDR ein entschiedener Gegner des Kommunismus, setzt sich in China für Demokratie und Menschenrechte ein. Seine mahnenden Worte perlen jedoch an den Verantwortlichen ab.

Peking - Am Neuen Sommerpalast lächelte Bundespräsident Joachim Gauck viel. Hier an einer der Top-Sehenswürdigkeiten der chinesischen Hauptstadt wirkt das Land locker und heiter: Am Montag blühten in Peking bereits die Bäume rund um den zentralen See des Parks. Gauck ließ sich die Geschichte der Sommer-Residenz der letzten Kaiser ausführlich erzählen. Nur wenige hundert Meter von dem Hotel Grand Hyatt entfernt, in dem Gauck während seines China-Besuchs residiert, zeigt sich das Land zugleich von einer anderen Seite. Ein Journalist, der die Beamten der Bewaffneten Volkspolizei knipsen will, wird rüde angefahren: „Fotografieren verboten, sofort löschen!“

 

Die Polizisten in ihren grünen Uniformen sind hier aufmarschiert, um „Zwischenfälle“ zu verhindern. Denn die „Straße des Ewigen Friedens“, die auf den Tiananmen-Platz führt, ist ein politisch aufgeladener Ort – insbesondere, wenn nebenan hoher Besuch übernachtet. Gauck stattet China einen viertägigen Staatsbesuch ab. Es ist sechs Jahre her, seit ein Bundespräsident nach China geflogen ist – die Visite war überfällig.

Diskussion mit dem Leiter der Parteischule

Gauck hat sich Zeit gelassen, anders als die Kanzlerin, die jedes Jahr vorbeikommt. Der Theologe hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass ihm das politische System Chinas nicht passt: Chinas kommunistischer Einparteienstaat erinnert ihn zu sehr an die DDR, in der er als evangelischer Pastor mit der Staatslinie über Kreuz lag.

Der ostdeutsche Pastor sucht nun auch gezielt die Auseinandersetzung mit der Partei: Vor dem eher touristischen Besuch des Sommerpalastes diskutierte er mit einem Vordenker des „Sozialismus chinesischer Prägung“ über das Spannungsverhältnis von Freiheit und Ordnung. Was sich Liu Yunshan, Leiter der Parteischule, und Gauck, ein Kritiker des Obrigkeitsstaates, dabei an den Kopf warfen, durfte die Öffentlichkeit gleichwohl nicht erfahren.

China weiß nicht so ganz, wie es mit dem sperrigen Gast umgehen soll. Gauck erhält alle Ehren und allen Respekt, der dem Staatschef einer befreundeten Nation zusteht. Schon bei seinem Besuch in Deutschland vor zwei Jahren hat Staats- und Parteichef Xi Jinping sich brav angehört, was Gauck ihm zum Thema Menschenrechte zu sagen hat. Der chinesische Präsident trägt jedoch konsequent die Haltung zur Schau, dass er über solch kleinliche Kritik erhaben ist. China ist das bevölkerungsreichste Land der Welt; die gesellschaftlichen Fliehkräfte werden immer größer. Xi ist überzeugt, die Nation mit harter Hand zusammenhalten zu müssen, weil sonst eine Katastrophe droht. Sein Kurs der Repression erscheint in der Logik der Parteischule ohne Alternative. Als Gast des chinesischen Präsidenten hat sich Gauck dann am Montagnachmittag vermutlich zahmer und versöhnlicher gezeigt, als er selbst es ursprünglich wollte.

Die Auswahl der Delegationsmitglieder ist eine Botschaft

Er hat zwar auf Menschenrechts- und Systemfragen angespielt, war sich jedoch seiner Rolle als Vertreter Deutschlands bewusst. Und Deutschland ist nicht nur ein Land, das sich weltweit für Freiheit und Demokratie engagiert – es ist auch eine Exportnation, die in China Milliarden investiert hat. Auch zur Lösung weltpolitischer Fragen ist Europa auf die Zusammenarbeit mit Peking angewiesen.

Doch schon die Auswahl der Delegationsteilnehmer, die Gauck begleiten durften, trug eine Botschaft. Während Kanzlerin Merkel auf ihren zahlreichen China-Reisen fast nur Manager und Unternehmer im Schlepptau hat, dominiert bei Gauck das Spirituelle. Ihn begleitet beispielsweise der Priester Karl Jüsten, Chef-Lobbyist der katholischen Kirche beim Bund. Oder Martin Dutzmann, dessen evangelisches Gegenstück. Mit Eckhard Nagel ist auch ein Mitglied des Ethikrates, der die Bundesregierung in moralischen Fragen berät, mit dabei. Der Chef des Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann, kann auf die Probleme chinesischer Arbeiter aufmerksam machen. Der Politologe und Sinologe Thomas Heberer ist bekannt für seine Forschung zu Spannungen zwischen gesellschaftlichen Gruppen und der Politik in China.

China versteht sich als „konsultative Demokratie“

Das Besuchsprogramm sprach ebenfalls eine deutlichere Sprache als der Bundespräsident selbst. Gauck nimmt an Gottesdiensten teil, obwohl der chinesische Staat die Kirche im eigenen Land mit Misstrauen betrachtet und versucht, sie zu kontrollieren. Er trifft Künstler, Schriftsteller und Intellektuelle, von denen viele wegen ihrer kritischen Haltung unter Beobachtung stehen. Am Mittwoch wird Gauck dann voraussichtlich noch einmal klare Worte finden zu Meinungsfreiheit und Pluralismus, die er als nicht verhandelbare Werte vermitteln will. Er hält dann an der Tongji-Universität eine Grundsatzrede.

Aber auch diese mahnenden Worte werden am offiziellen China abprallen. Schließlich ist das Land nach eigenem Verständnis eine Demokratie – wenn auch eine „konsultative Demokratie“, in der die Partei erst handelt und das Volk dann fragt. Auch Pressefreiheit ist offiziell garantiert, doch anders als im Westen hat diese sich der „sozialen Stabilität“ unterzuordnen.