In der Bundespräsidenten-Kandidatur steht Gauck gegen Klarsfeld. Die Linke muss darauf achten, welche Signale sie aussendet, sagt der Historiker Eckart Conze.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Berlin - Bei der Bundespräsidenten Wahl tritt Joachim Gauck gegen Beate Klarsfeld an. Die Linke muss darauf achten, welche Signale sie aussendet, sagt der Historiker Eckart Conze.

 

Herr Conze, jeder Kandidat sendet ein Signal aus. Für was steht Frau Klarsfeld?

Sie steht vor allem, wenn nicht ausschließlich, für eine klare geschichtspolitische Botschaft. 1968 ist sie bekannt geworden durch ihre Ohrfeige für den damaligen Bundeskanzler Kiesinger, den sie als Nazi beschimpfte. Diese Aktion symbolisiert ihr Lebenswerk. Frau Klarsfeld gilt als Nazijägerin. Sie hat nicht geruht, Nazitäter vor Gericht zu bringen oder ausliefern zu lassen und die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen, aber auch an die in der Tat hohe NS-Belastung der jungen Bundesrepublik wachzuhalten.

Sie ist also eine honorige Person. Aber manchmal bekommt eine Kandidatur einen bitteren Beigeschmack. Ist der Verdacht völlig von der Hand zu weisen, dass hier ein erinnerungspolitischer Showdown inszeniert werden soll. Hier Klarsfeld, dort Joachim Gauck, der für die Aufarbeitung der SED-Verbrechen steht?

Das ist nicht auszuschließen, und die Linke muss sich des geschichts- und erinnerungspolitischen Signals sehr bewusst sein, welches die Kandidatur von Frau Klarsfeld bedeutet. Man kann nur hoffen, dass ihre Nominierung nicht allein aus einem Anti-Gauck-Reflex erfolgt ist. Denn Gauck steht ja tatsächlich für eine kritische Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit und insbesondere der Geschichte der SED, deren Entwicklung nach 1990 direkt bis hin zur heutigen Linken führt. Aber ich hielte es für geschichtspolitisch verheerend, NS-Vergangenheit und SED-Vergangenheit gegeneinander auszuspielen.

Zugespitzt: am 18. März darf nicht Bautzen gegen Auschwitz zur Abstimmung stehen?

Das wäre eine völlig falsche Gegenüberstellung. Ich kann nur warnen, solchen Interpretationen Vorschub zu leisten. Die Auseinandersetzung mit beiden Diktaturen und ihren Verbrechen ist Kernbestand der Selbstverständigung der Deutschen auch im beginnenden 21. Jahrhundert. Unserer politischen Kultur ist nicht damit gedient, NS-Unrecht gegen SED-Unrecht auszuspielen. Und schon gar nicht, wenn sich eine solche Debatte mit der Wahl für das höchste Staatsamt und der Diskussion über den geeigneten Kandidaten verbindet.

Es gehört zum erinnerungspolitischen Konsens, dass Opfergruppen nicht gegeneinander ausgespielt oder aufgerechnet werden.

Das würde weder wissenschaftlich noch gesellschaftlich weiterführen. Bisher ist das der Bundesrepublik geglückt.

Ist die Kandidatur womöglich auch das Anerkenntnis, dass unsere Geschichte doch viel gegenwärtiger ist, als manche das glauben mögen?

Das muss man gar nicht anerkennen, denn daran besteht kein Zweifel. Es ist ja evident, dass zentrale politische, gesellschaftliche und kulturelle Debatten hierzulande immer wieder um historische Themen und die Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte kreisen. Das ist Teil unserer politischen Kultur. Und für deren Entwicklung spielt der Bundespräsident mit seinem symbolischen Amt eine herausgehobene Rolle. Unser Staatsoberhaupt wirkt vor allem durch das Wort. Alle großen Bundespräsidenten haben sich über die Jahrzehnte hinweg auch als geschichtspolitische Akteure profiliert und in wichtigen Reden prononciert Stellung bezogen.

Und werden es auch in Zukunft tun müssen.

Ja. Wenn Sie überlegen, welche Jahrestage – 2013: 80 Jahre NS-Machtergreifung, 2014: 100 Jahre Beginn des Ersten Weltkriegs – vor uns liegen, warten auch auf den neuen Bundespräsidenten große Herausforderungen.