Die Einstufung der Maghrebstaaten als sichere Länder bei Abschiebungen ist umstritten. Aus der Grünen-Fraktion im Stuttgarter Landtag kommt viel Kritik.

Stuttgart - Wenn an diesem Freitag der Bundesrat auf Antrag Bayerns darüber entscheidet, ob Tunesien, Algerien und Marokko als sichere Herkunftsländer eingestuft werden sollen, wird voraussichtlich nur ein Land zustimmen, in dem Grün (mit-)regiert: Baden-Württemberg.

 

Ginge es nach der Grünen-Fraktion im Stuttgarter Landtag, dann dürfte das nicht passieren. Doch der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat schon vor längerem Zustimmung zu der geplanten Änderung signalisiert, die zum Ziel hat, Asylverfahren zu verkürzen und abgewiesene Flüchtlinge zügiger zurückzuschicken. Voraussetzung sei, dass besonders gefährdete Personen, etwa Homosexuelle oder Journalisten, von Schnellverfahren ausgenommen würden, sagte ein Sprecher des Staatsministeriums. Sie sollten wie Flüchtlinge aus anderen Staaten behandelt werden.

Grünen-Abgeordnete kritisieren Zustimmung

Bei den Grünen im Landtag stößt das auf Kritik. „Die Menschenrechtslage für Homosexuelle oder religiöse Minderheiten ist in diesen Ländern nach wie vor unsicher“, sagte die Stuttgarter Grünen-Abgeordnete Brigitte Lösch. Deshalb sei es gut, dass der Antrag keine Mehrheit finde. Daniel Lede-Abal, Sprecher für Soziales und Integration, bezeichnete die geplante Zustimmung als „symbolische Handlung“. Zum einen sei die Zahl der Flüchtlinge aus diesen Ländern relativ gering – im vergangenen Jahr waren bundesweit 8000 Asylbewerber aus diesen drei Ländern registriert. Und um das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu entlasten, gäbe es aus seiner Sicht bessere Möglichkeiten, etwa Kollektiventscheidungen für Flüchtlinge aus Syrien.

Wer sich unter den Grünen-Bundestagsabgeordneten umhört, stößt bei vielen Parlamentariern auf Stillschweigen. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sei im Plenum unabkömmlich und habe keine Zeit für eine Erklärung, ließ die Pressestelle ausrichten. Ähnliche Antworten kamen aus anderen Abgeordnetenbüros. „Kein Öl ins Feuer gießen“ – das ist erkennbar das Motto der Bundesgrünen auf den Alleingang von Kretschmann.

Mindestens drei Länder enthalten sich

Volker Beck, früherer menschenrechtspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, ging hingegen auf Distanz zur Entscheidung im Land. „In den drei Maghreb-Staaten werden die Rechte von Lesben und Schwulen mit Füßen getreten, Frauen diskriminiert, die Kinderrechte allenfalls rudimentär geachtet und die Religionsfreiheit nicht gewährleistet.“ Staaten, in denen Folter und Verhängung der Todesstrafe auf der Tagesordnung stünden, seien nicht sicher. Dass die menschenrechtlichen Mindestanforderungen an die Einstufung von sicheren Herkunftsstaaten ignoriert werden sollen, sei „zutiefst verstörend“.

Klar ist am Tag vor der Bundesratsentscheidung, dass es für das Gesetz keine Mehrheit geben wird. Das Lager der großen Koalition würde in der Länderkammer vier von den Grünen mitregierte Länder benötigen, um für ihren Antrag eine Mehrheit zu erhalten. Doch die Regierungen von Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Hessen haben angekündigt, sich zu enthalten. Offen ist dagegen noch das Abstimmungsverhalten der rot-grünen Regierung von Hamburg. Doch die Stimmen Baden-Württembergs und Hamburgs würden nicht für eine Mehrheit reichen.

Bundestag hat vor fast einem Jahr zugestimmt

Moritz Heuberger, Bundessprecher der Grünen Jugend, sieht es zwar als Erfolg an, dass die Ausweitung der sicheren Herkunftsländer durch die Grünen im Bundesrat verhindert wird. Das Stuttgarter Abstimmungsverhalten sieht er aber kritisch: „Dass Baden-Württemberg nicht mit an Bord ist, ist schade.“ Dies sei vor allem der „menschenverachtenden Politik der CDU geschuldet“. Ministerpräsident Kretschmann müsse „mehr Durchsetzungskraft“ beweisen, so Heuberger.

Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) hingegen kritisierte am Donnerstag das Verhalten der rot-grünen Länder: „SPD und Grüne in den anderen Ländern haben viel Zeit vergeudet, seit das Gesetz im letzten Jahr im Bundestag verabschiedet wurde“, sagte er dieser Zeitung. „An Baden-Württemberg wird es nicht scheitern: Wir stimmen zu.“ Ministerpräsident Kretschmann wird an der Sitzung krankheitshalber nicht teilnehmen.

Der Bundestag hat das Gesetz bereits vor fast einem Jahr beschlossen. Danach wurde es auch im Bundesrat behandelt. Als sich abzeichnete, dass sich keine Mehrheit dafür finden würde, legte die Länderkammer die Entscheidung auf Eis. Seit dem Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt ist die Diskussion neu entbrannt.