Bundestagspräsident Norbert Lammert verwarnt die öffentlich-rechtlichen Sender. Sie sollen mehr aus dem Parlament berichten – sonst sei ihre Legitimation in Frage gestellt.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Bundestagspräsident Norbert Lammert pflegt sich auf hohem Niveau auszudrücken – seinem Rang als zweithöchster Mann des Staates gemäß. Doch er kennt auch die klare Sprache, etwa wenn er unverhohlen den Intendanten von ARD und ZDF droht, ihnen die Fernsehgebühren streitig zu machen. Kurz vor Ende eines Podiumsgesprächs im Stuttgarter Theodor-Heuss-Haus legt der CDU-Politiker los: „Was ist mit dem Fernsehen los?“, fragt er. Es sei „unglaublich“, wie die öffentlich-rechtlichen Sender „zur Entertainisierung des gesamten Programms gewechselt sind“, so dass es von den privaten Programmen nicht mehr zu unterscheiden sei.

 

Pro Woche würden mehr (politische) Talkshowstunden gesendet als im ganzen Jahr Bundestagsdebatten. Allein die Quote – somit die Werbeeinnahmen – „ist das Kriterium“, nicht die Relevanz. Einen „vorläufigen Friedensschluss“ habe er mit den Intendanten gemacht, berichtet Lammert. Das heißt: Wenn nun alle Parlamentsdebatten im öffentlich-rechtlichen Dokumentationskanal Phoenix übertragen werden und bedeutende Entscheidungen bei ARD oder ZDF, halte er es „für eine hinnehmbare Lösung“, die es nicht nötig mache, über einen Parlamentskanal nachzudenken. Er akzeptiere aber nicht, dass zeitgleich zu bedeutenden Debatten – etwa über den europäischen Rettungsschirm ESM – „Rote Rosen“ (ARD) oder „Volle Kanne“ (ZDF) ausgestrahlt werde. „Das entzieht dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk seine Legitimation“, donnert der Bundestagspräsident und warnt die Sender: „Dann sollen sie sich gefälligst anders finanzieren.“

„Der Bundestag hat an Kompetenz gewonnen“

Dabei ist es am Donnerstagabend ganz sachte losgegangen, das Gespräch mit dem renommierten Politikwissenschaftler Hans Vorländer – frei von aufgeregtem Talkshowgequassel. Mit klugen Fragen versucht Thomas Hertfelder, Geschäftsführer der Heuss-Haus-Stiftung, dem Ansehensverlust des Parlaments auf die Spur zu kommen. Lammert mag diesen – zunächst – nicht erkennen. So stellt er fest, dass der Bundestag in der Eurokrise an Bedeutung noch gewonnen habe. Ohne dessen dürfe die Regierung keine neuen Hilfszusagen machen. Der Vorrang parlamentarischen Handelns sei „beispiellos“. Allerdings führe die Abkopplung von Wirtschaft und Finanzmärkten zu einer „irrsinnigen Verkürzung der verfügbaren Beratungszeiten“. Der Bundestag müsse sich neue Arbeitsstrukturen geben, um unter hohem Zeitdruck kompetent zu entscheiden.

Um dem allgemeinen Ansehensverlust parlamentarischer Ergebnisse zu begegnen, führt aus Sicht von Vorländer kein Weg daran vorbei, die Wähler etwa in Bürgerforen unmittelbarer zu beteiligen. „Es geht um das Einüben von Kompromissen“, sagt er. Den Bürger in die Pflicht zu nehmen, sei die „große Aufgabe“. Lammert jedoch hegt eine „ausgeprägte Skepsis“ gegenüber neuen plebiszitären Elementen auf Bundesebene. Bürgerentscheide könnten als Option ein anderer „Strang der Entscheidungsbildung“ sein, aber kein Patentrezept. Denn: „Glanz und Elend solcher Verfahren liegen eng beieinander.“ Was liegt näher, als beispielhaft die Volksabstimmung zu Stuttgart 21 vor einem Jahr zu nennen. Damals hätte die Beteiligung – selbst in Stuttgart – unter dem Niveau der Landtagswahlen gelegen. Es solle ihm niemand erzählen, so Lammert, dass bei grundlegenden Beschlüssen auf diese Weise eine prinzipiell höhere Legitimation zu erreichen sei.

Zudem: Wenn die großen Richtungsentscheidungen seit 1949 – wie die Einführung der Wehrpflicht, der Nato-Beitritt oder der Nato-Doppelbeschluss – durch Plebiszite vollzogen worden wären, „sähe die Republik heute anders aus“, sagt Lammert. Womit sich der Kreis zum Namensgeber des Gesprächsortes schließt: Auch der erste Bundespräsident Theodor Heuss (FDP) war ein klarer Gegner plebiszitärer Verfahren zumindest auf Bundesebene.