Kanzlerin im Höhenflug, Liberale am Boden: Merkels CDU/CSU verpasst die absolute Mehrheit nur knapp. Ihr Koalitionspartner FDP kippt aus Regierung und Bundestag. SPD, Grüne und Linke liegen vor der Union. Realistisch ist die große Koalition, möglich auch Schwarz-Grün.

Berlin - Kanzlerin Angela Merkel auf dem Höhepunkt ihrer Macht: Mit einem Traumergebnis nahe der absoluten Mehrheit haben CDU und CSU bei der Bundestagswahl triumphiert und Merkel die dritte Amtszeit gesichert. Allerdings wurde die schwarz-gelbe Koalition am Sonntag nach vier Jahren abgewählt, weil die FDP nach einem beispiellosen Absturz um zehn Prozentpunkte erstmals in ihrer Geschichte aus dem Parlament flog. Rot-Rot-Grün lag zwar laut Hochrechnungen knapp vor der Union, wird aber von der SPD abgelehnt. Realistischste Regierungsoption ist nun die große Koalition.

 

CDU/CSU und die Oppositionsparteien SPD, Grüne und Linke lieferten sich am Wahlabend ein dramatisches Kopf-an-Kopf-Rennen mit mehrfach wechselnden Mandate-Mehrheiten. Rot-Rot-Grün wurde unter anderem von SPD-Chef Sigmar Gabriel für die kommende Legislaturperiode in Interviews erneut ausgeschlossen. Sozialdemokraten und Grüne verfehlten den angestrebten Regierungswechsel klar. Die SPD mit Kanzlerkandidat Peer Steinbrück erzielte das zweitschwächste Ergebnis ihrer Nachkriegsgeschichte im Bund, auch die Grünen mit dem Duo Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin sackten ab.

Ein Unsicherheitsfaktor in den Hochrechnungen war lange Zeit die neue eurokritische Partei Alternative für Deutschland (AfD). Sie verbuchte einen Überraschungserfolg knapp unterhalb der Fünf-Prozent-Marke, der Sprung in den Bundestag wurde erst am späten Abend mit 4,8 Prozent unwahrscheinlich.

Merkel hat jetzt alle Karten in der Hand - nach den Hochrechnungen Schwarz-Rot oder auch die unwahrscheinlichere Variante Schwarz-Grün. Zeitweise sah es am Abend sogar nach einer Alleinregierung der CDU/CSU aus. Merkel versicherte in der "Berliner Runde" der Spitzenpolitiker, es sei selbstverständlich, "dass man sich um eine stabile Mehrheit bemüht". Sie wolle stabile Verhältnisse in Deutschland und werde "keine Vabanquespiele eingehen". Die Kanzlerin will während der kompletten Wahlperiode bis 2017 am Ruder bleiben.

Im Bund erreichte bisher nur die Union eine absolute Mehrheit: 1957 stimmten 50,2 Prozent für die Partei von Kanzler Konrad Adenauer, der aber dennoch eine Koalition mit der damaligen Deutschen Partei (DP) bildete.

Die FDP von Spitzenkandidat Rainer Brüderle und Parteichef Philipp Rösler blieb mit dem schwächsten Ergebnis ihrer Geschichte deutlich unter der Fünf-Prozent-Hürde. Die Union hingegen schaffte ihr bestes Resultat seit der Einheits-Wahl 1990 - erstmals konnte Merkel als Parteichefin das Ergebnis steigern.

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Die Union lag gegen 23.00 Uhr mit vier bis sechs Mandaten Rückstand knapp hinter SPD, Grünen und Linkspartei. SPD und Grüne hatten ein Zusammengehen mit der Linken immer wieder strikt abgelehnt. Eine große Koalition hatte zuletzt von 2005 bis 2009 unter Führung Merkels regiert und Deutschland gut durch die Wirtschafts- und Finanzkrise geführt.

Nach den Hochrechnungen von ARD und ZDF (22.45 Uhr) kommt die CDU/CSU auf 41,7 bis 41,9 Prozent (2009: 33,8) und legt damit um rund acht Punkte zu. Die SPD verbessert sich um zweieinhalb Punkte auf 25,6 bis 25,7 Prozent (2009: 23,0). Die FDP stürzt innerhalb von vier Jahren von 14,6 Prozent auf desaströse 4,7 bis 4,8 Prozent ab. Die Grünen verlieren leicht auf 8,4 Prozent (2009: 10,7). Die Linke verschlechtert sich auf 8,5 Prozent (2009: 11,9). Die AfD kommt aus dem Stand heraus auf 4,8 Prozent.

Die Hochrechnungen von Infratest dimap (ARD) und Forschungsgruppe Wahlen (ZDF) ergeben für CDU/CSU im neuen Bundestag 296 bis 301 Sitze (2009: 239), für die SPD 182 bis 184 Mandate (146). Die Grünen können mit 59 bis 60 Mandaten (68) rechnen, die Linke mit 61 Sitzen (76). Während beim ZDF Überhangmandate eingerechnet wurden, fehlten diese bei der ARD. Bei der Wahlbeteiligung zeichnete sich nach dem Negativrekord von 70,8 Prozent vor vier Jahren ein leicht verbesserter Wert von etwa 72 Prozent ab.

Zeitgleich zur Bundestagswahl wurde in Hessen ein neuer Landtag gewählt. Hier ergaben sich nach Hochrechnungen keine klaren Machtverhältnisse. Schwarz-Gelb wurde abgewählt - Rot-Rot-Grün war am Abend möglich, aber wenig wahrscheinlich. Auch hier flog die bis dahin mitregierende FDP aus dem Parlament. Die SPD, die 2009 in ihrer einstigen Hochburg auf ihr schlechtestes Nachkriegsergebnis abgesackt war, legte kräftig zu. Ihr Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel wollte sich nicht auf ein Bündnis festlegen. CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier sah einen klaren Auftrag für eine Regierungsbildung.

Merkel sprach unter dem Jubel ihrer Anhänger in Berlin von einem "Super- Ergebnis" und versicherte: "Wir werden damit verantwortungsvoll und sorgsam umgehen." Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel zeigte sich enttäuscht: "Ja, wir haben zugelegt, aber wir haben mehr erwartet, keine Frage." SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück ergänzte: "Der Ball liegt im Spielfeld von Frau Merkel. Sie muss sich eine Mehrheit besorgen."

CSU-Chef Horst Seehofer sagte in München, seine Partei wolle eine Koalition mit der SPD "im Grunde genommen" nicht, weil ein solches Bündnis die Ausnahme sein sollte. Für die Entscheidungen im Bundesrat allerdings könne eine große Koalition hilfreich sein.

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CDU-Vorstandsmitglied Annegret Kramp-Karrenbauer schloss Verhandlungen mit den Grünen über eine mögliche Koalition nicht aus. "Es gilt der alte Grundsatz, dass alle demokratischen Parteien untereinander auch gesprächsbereit sein sollten", sagte die Saar- Ministerpräsidentin. Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin sieht solche Gespräche aber skeptisch: "Die Wahrscheinlichkeit, dass dabei etwas rauskommt, halte ich nicht für besonders hoch."

Der AfD-Vorsitzende Bernd Lucke sprach von einem "ganz starken Ergebnis". Er hoffe auf den Einzug in den Bundestag. "Aber auch 4,9 Prozent wären ein großartiger Erfolg." FDP-Chef Philipp Rösler und Spitzenkandidat Rainer Brüderle übernahmen die politische Verantwortung für das Debakel ihrer Partei - beide deuteten ihren Rücktritt an. "Das ist das schlechteste Ergebnis, das wir bislang mit der FDP erreicht haben", sagte Brüderle. Nordrhein-Westfalens FDP-Chef Christian Lindner verlangte eine Erneuerung seiner Partei.

Die Union hat ihren Erfolg bei der Bundestagswahl nach einer ersten Analyse der Forschungsgruppe Wahlen vor allem dem hohen Ansehen Merkels zu verdanken. Sie habe das beste Kanzler-Image seit 1990, als Helmut Kohl an der Spitze der Regierung stand. Die Wertschätzung sei lagerübergreifend, schrieben die Wahlforscher: 80 Prozent attestierten der Kanzlerin demnach gute Arbeit, nur 17 Prozent bewerteten ihre Leistung als schlecht. Die CDU/CSU konnte zudem davon profitieren, dass die Deutschen das Land trotz der Euro-Krise klar besser aufgestellt sehen als 2009.

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Ein klarer Sieg der Union im Bund hatte sich seit Monaten in allen Umfragen angedeutet. Zudem hatte die Bayern-Wahl vor einer Woche mit einer absoluten CSU-Mehrheit den Schwesterparteien nochmals einen Schub verschafft. Die mit 3,3 Prozent aus dem Landtag geflogene FDP versuchte mit einer massiven Zweitstimmenkampagne ein ähnlich dramatisches Scheitern im Bund zu verhindern - ohne jeden Erfolg. Zur Wahl aufgerufen waren rund 61,8 Millionen Bürger. 34 Parteien mit 4451 Kandidaten bewarben sich in den 299 Wahlkreisen um die regulär 598 Sitze im Bundestag.