Claudia Haydt kandidiert für die Linken im Wahlkreis Nürtingen. Sie will keine Führungseliten tauschen sondern grundsätzlich im Land etwas ändern.

Nürtingen - Im Garten vergisst sie das Amt im Vorstand der europäischen Linken, die Europapolitik mit all ihren Vorbehalten, die internationalen Einsätze der Bundeswehr, die Flüchtlingshilfe und die soziale Ungerechtigkeit. Mit einer Schere bewaffnet rückt sie den Büschen zu Leibe und bringt sie in Form. Verwildert darf der Garten sein, aber nicht zugewachsen.

 

Das Haus, in dem die Bundestagskandidatin Claudia Haydt lebt, liegt am Ortsrand von Tübingen und schaut in ein idyllisches Tälchen. Hier am Oberlauf des Neckars ist es viel ländlicher als im Mittleren Neckarraum, wo sie punkten will. In dem von Industrie geprägten Wahlkreis Nürtingen tritt sie vor allem gegen Rainer Arnold von der SPD an, aber auch gegen Matthias Gastel von den Bündnisgrünen.

Die Partei der Grünen verließ sie 1999 wegen des deutschen Einsatzes im Kosovo. Die Bundeswehr soll die deutschen Grenzen schützen und nicht im Ausland intervenieren. Das ist das unumstößliche Programm von Claudia Haydt, die ihre Schwerpunkte in der Friedenspolitik, in der Flüchtlingsarbeit und im europaweiten Einsatz für soziale Gerechtigkeit sieht.

Aber wie will sie europaweit-gedachte Politik in ihrem Wahlkreis Nürtingen umsetzen? Um die Flüchtlingsheime vor Ort will sie sich kümmern und am liebsten auflösen, damit die Flüchtlinge in dezentralen Wohnungen unterkommen. „Dann würde eine Tat wie der Mord im Kirchheimer Asylbewerberheim nicht mehr vorkommen“, sagt sie.

Ihr Wahlkampf zielt klar darauf, Stimmen von der SPD zu bekommen, die ihr als Partei nicht sozial genug ist. Sie glaubt, dass Hartz IV grundfalsch ist. Hartz IV mache die Menschen erpressbar. Die Angst vor dem sozialen Abstieg lasse die Angestellten und Arbeiter Lohnkürzungen und schlechte Arbeitsbedingungen hinnehmen.

Dabei gebe es in Deutschland genug Geld: Wenn sie Bundeskanzlerin wäre, würde sie die Millionäre besteuern und das Geld den Hartz-IV-Empfängern, den Flüchtlingen, den alleinerziehenden Müttern geben oder den Rentnern. Die Binnennachfrage müsse gestärkt werden, nicht der Export, sagt sie. Und wann kommt die Weltrevolution? Sie lacht.

Es muss keine Revolution geben in Deutschland, weil Revolutionen nur die Führungseliten austauschen, nicht die strukturellen Probleme ändern, „mein Weltbild ist ein humanistisches“, sagt sie und spricht wieder über die Armen im Land, „manchmal habe ich den Eindruck, die Gesellschaft hat sie vergessen“.

In ihrem Zimmer hängt die Fahne der europäischen Linken, sie ist neben der Astschere der zweite wichtige Gegenstand in ihrem Leben. Ihr Fahrrad, der dritte Gegenstand, ist kein Mittel zur Beschleunigung, sondern zur Entschleunigung. Sie benutzt es, wenn sie es nicht eilig hat. Die 46-Jährige ist in Langenargen am Bodensee aufgewachsen, ihre geistige Heimat lag in einer christlichen Jugendgruppe. Wie viele in ihrer Generation wurde sie durch die Friedensbewegung politisiert. In Ulm stand sie in der Menschenkette, die quer durch Deutschland zog, um gegen die atomare Nachrüstung zu protestie ren.

Sie studierte in Tübingen Religionswissenschaften und legt Wert auf den Unterschied zwischen der Religionswissenschaft und dem Fach Theologie, weil erstere keiner Glaubensrichtung verpflichtet ist. Als zweites Fach belegte sie Soziologie. 1988 bis 1999 war sie bei den Grünen, danach war erst mal Schluss mit Parteien. Die 1996 von ihr mitgegründete Informationsstelle Militarisierung hatte der Verfassungsschutz anfangs als „linksextremistisch beeinflusste Organisation“ dargestellt, was einen Streit mit dem Finanzamt nach sich zog, denn es wollte zunächst keine Gemeinnützigkeit anerkennen.

2007 stieß Claudia Haydt zur Linken und fand dort eine politische Heimat. Oft geht sie ins Ausland und solidarisiert sich. „Ich muss dort zeigen, dass es auch ein anderes Deutschland gibt als das Deutschland Merkels“, sagt sie. „Man kann einem Hungernden nicht den letzten Euro aus der Tasche ziehen.“ Sie plädiert für einen Schuldenschnitt der armen Länder. Es sei falsch, diese Länder abzuwerten, sagt sie. „Nein, wir müssen hier die Löhne anheben und Deutschland aufwerten.“ Der Unterschied zwischen Griechenland und Deutschland bliebe dann gleich, nur eben, dass es dann allen besser ginge.

Durch Debatte Über Nachrüstung zur Pazifistin geworden

Ämter:
Zurzeit ist Claudia Haydt als Vorstandsmitglied der Europäischen Linkspartei und der Informationsstelle Militarisierung (IMI) tätig und als Mitarbeiterin im Bundestag mit Schwerpunkt Sicherheitspolitik. Sie ist außerdem Hochschuldozentin für Sozialarbeit.

Werdegang
Claudia Haydt ist 45 Jahre alt. Sie stammt aus Langenargen am Bodensee und wurde durch die Nachrüstungsdebatte 1983 politisiert. Sie engagierte sich erst bei den Grünen und trat aus Protest über den Kosovo-Einsatz aus der Partei aus.

Politik
Die Schwerpunkte der Kandidatin liegen in der Bildungspolitik. Sie möchte, dass alle Jugendlichen einen Ausbildungsplatz bekommen. Sie ist gegen Kriegs- und Besatzungseinsätze und will den Widerstand dagegen außerhalb des Parlamentes führen.

Vier Fragen, vier Tweets

Ein Windrad auf dem Dach oder Atommüll im Keller – was ist Ihnen lieber? Dezentralisierung ist die Zukunft der Energieversorgung. Aber besser mit Solarpaneelen auf dem Dach und energiesparenden Menschen unterm Dach.

Freie Fahrt für freie Bürger? Freie Fahrt, das heißt für mich: Tempo 300 im ICE, aber Tempo 130 auf der Autobahn und einen Nahverkehr, für den wir kein Ticket brauchen.

Wie billig darf Arbeit sein? Wer arbeitet, der muss davon menschenwürdig leben können. Mit einem Hungerlohn unter zehn Euro geht das nicht.

Papa Staat und Mama Kita? Mama und Papa sind die Besten, aber auch sie können nicht zaubern und nicht überall sein. Deswegen braucht es gute Kitas und genügend Plätze.