CDU/CSU verteidigen ersten Platz trotz herber Verluste – Merkel kann wohl nur mit FDP und Grünen regieren – Sozialdemokraten kündigen Gang in die Opposition an

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Stuttgart - Die Bundestagswahl hat zu einigen überraschenden Ergebnissen geführt. Ernüchternd für CDU/CSU und die SPD ist der Absturz der großen Volksparteien. Auf der anderen Seite war der Einzug der AfD in dieser Höhe nicht von allen Beobachtern erwartet worden. Das erste Fazit des Wahlabends lautet: Angela Merkel wird wohl nur mit FDP und Grünen weiterregieren können. Die SPD fuhr am Sonntag ihr schlechtestes Ergebnis in der Nachkriegsgeschichte ein. Parteichef Martin Schulz sprach von einem „bitteren Tag für die deutsche Sozialdemokratie“ und kündigte den Gang in die Opposition an. Die CDU/CSU verbuchte zwar erneut die meisten Stimmen, kam aber auf das schlechteste Ergebnis seit 1949. Die rechtspopulistische AfD wurde mit über zwölf Prozent drittstärkste Kraft, mit ihr sitzt erstmals eine Partei rechts von der Union im Parlament. Die FDP zog nach vier Jahren Abwesenheit mit über zehn Prozent wieder in den Bundestag ein. Die Linkspartei und die Grünen kamen jeweils auf rund neun Prozent, für die Grünen ihr bislang zweitbestes Ergebnis.

 

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CDU hat ihr strategisches Ziel erreicht

Nach Ansicht von Kanzlerin Merkel hat die Union ihre strategischen Ziele erreicht. „Wir sind stärkste Kraft, haben den Auftrag, eine Regierung zu bilden, und gegen uns kann keine Regierung gebildet werden“, sagte Merkel vor Anhängern. In der „Berliner Runde“ bei ARD und ZDF kündigte die CDU-Vorsitzende an, auf die Parteien zuzugehen. „Wir leben in stürmischen Zeiten“, sagte die Kanzlerin. Deshalb appelliere sie an alle Beteiligten, ihre Verantwortung auch wahrzunehmen.

CSU-Chef Horst Seehofer zeigte sich dagegen enttäuscht. Auch in Bayern kam die AfD auf mehr als zwölf Prozent, die CSU rutschte unter die 40-Prozent-Marke. Der Ministerpräsident sagte, er werde als Konsequenz die „offene rechte Flanke“ schließen, und zwar „mit klarer Kante und klaren politischen Positionen“. Bayern wählt im nächsten Jahr einen neuen Landtag. Bei der Bundestagswahl 2013 war die Union noch bundesweit auf 41,5 Prozent gekommen. Die CSU machte via Twitter allerdings auf Optimismus.

SPD geht in die Opposition

Schulz kündigte an, die SPD werde eine starke Opposition sein. Dies könne man nicht der AfD alleine überlassen, deren Ergebnis für Deutschland eine Zäsur sei: „Damit ist die Rolle für uns ganz klar, wir sind die Partei der Opposition.“ Er sei sich im übrigen sicher, dass ein Jamaika-Bündnis aus Union, FDP und Grünen zustande kommen werde, sagte er in der „Berliner Runde“. Ihr bislang schlechtestes Ergebnis hatte die SPD 2009 mit dem Kandidaten Frank-Walter Steinmeier eingefahren, damals kamen die Sozialdemokraten auf 23,0 Prozent.

Der Medienjournalist Stefan Niggemeier zeigte sich erstaunt über den Auftritt von Schulz nach der Wahl. Er hatte wohl erhofft, dass sich der Parteivorsitzende die Machtoption offen hält.

Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel verteidigt die Entscheidung seiner Partei, in die Opposition zu gegen. Nach einem solchen Wahlergebnis könne man nicht so tun, als wäre nichts passiert, sagt er im Deutschlandfunk. Jetzt gehe es um eine inhaltliche und organisatorische Erneuerung der SPD.

Die FDP ist bereit für Gespräche

Die FDP ist nach Angaben ihres Spitzenkandidaten Christian Lindner bereit für Gespräche über eine Regierungskoalition. „Wir sind nicht zum Regieren verdammt, aber wir sind natürlich bereit, Verantwortung zu übernehmen“, sagte Lindner in der „Berliner Runde“. „Es geht darum, die Stabilität der Bundesrepublik Deutschland in aufgeregten Zeiten zu sichern.“ Die Anhänger der FDP wissen offensichtlich sehr genau, wem sie das Ergebnis zu verdanken haben.

Die Grünen werden nach Aussage ihres Spitzenkandidaten Cem Özdemir in einer möglichen Koalition mit Union und FDP keinen „anti-europäischen Populismus“ mitmachen. Doch noch nicht alle stellen sich schon am Morgen nach der Abstimmung auf eine „Jamaika“-Koalition ein.

CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer will nach der Bundestagswahl auch die Möglichkeit einer erneuten großen Koalition aus Union und SPD noch nicht abschreiben. CDU und CSU müssten versuchen, eine Gesprächsebene mit FDP und Grünen, aber auch der SPD zu finden, sagte Scheuer am Montag im ZDF-„Morgenmagazin“. Die Absage der SPD an eine große Koalition bezeichnete er als Reaktion in der „ersten Dramatik“. Doch das Motto „erst die Partei, dann das Land“ werde nicht von Erfolg gekrönt sein, sagte Scheuer. Der CSU-Generalsekretär forderte zudem eine „Kursdebatte“ innerhalb der Union. Die rechte Flanke müsse geschlossen werden. Die CSU werde in die Diskussion mit der CDU den „harten Kurs“ in der Sicherheit, der Integration und auch der Begrenzung der Zuwanderung „verstärkt“ einbringen. Scheuer machte sich dabei erneut für die umstrittene Obergrenze für Flüchtlinge stark.

AfD kündigt harten Konfrontationskurs an

AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland kündigte einen harten Konfrontationskurs gegen die neue Bundesregierung an. „Die Bundesregierung, wie immer sie aussieht, kann sich warm anziehen, wir werden sie jagen“, sagte Gauland vor Anhängern. „Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen.“

Die ersten Reaktionen Beobachter auf diesen Satz reichten von Erstaunen bis zum blanken Entsetzen. So schrieb die Friedenspreisträgerin Carolin Emke via Twitter:

Parteichef Jörg Meuthen wies in der „Berliner Runde“ den Eindruck zurück, es gebe in seiner Partei rechtsradikale Tendenzen. Besonders stark schnitt die AfD in Sachsen ab, wo sie die Wahl überraschend gewonnen hat. Mit unerwartet starken 27,0 Prozent vervierfachte sie knapp ihr Ergebnis von 2013, wurde laut vorläufigem amtlichen Ergebnis stärkste Kraft im Freistaat und fuhr damit zugleich ihr bundesweit bestes Ergebnis ein. Frauke Petry, die in ihrer eigenen Partei kaltgestellt wurde, errang in ihrem Wahlkreis nach eigenen Angaben das Direktmandat.

Offensichtlich bestärkt durch ihren Erfolg, sucht Petry weiter die Konfrontation mit den völkisch-nationalen Kräften in der Partei. So hat sie die Äußerungen des Co-Vorsitzenden Alexander Gauland nach der Bundestagswahl erneut kritisiert. „Das ist die Rhetorik, glaube ich, von der ich gesprochen habe, dass gerade der bürgerliche Wähler sie nicht als konstruktiv empfindet“, sagte Petry im ZDF-„Morgenmagazin“. Gauland hatte nach der Bekanntgabe der ersten Ergebnisse am Sonntagabend unter anderem gesagt: „Wir werden Frau Merkel oder wen auch immer jagen“. Die Partei müsse sich nun vor allem auf Inhalte konzentrieren, erwiderte Petry. „Ich möchte, dass die Themen zukünftig dominieren und nicht die abseitigen Äußerungen, die wir in der Vergangenheit gehört haben.“

Sorge wegen des Erfolgs der AfD

Der Zentralrat der Juden sieht den Wahlerfolg der AfD mit Sorge. „Eine Partei, die rechtsextremes Gedankengut in ihren Reihen duldet und gegen Minderheiten in unserem Land hetzt, ist jetzt nicht nur in fast allen Länderparlamenten, sondern auch im Bundestag vertreten“, sagte Präsident Josef Schuster. Die massiven Stimmverluste der beiden großen Parteien Union und SPD sowie der Wahlerfolg der rechten AfD haben in der deutschen Wirtschaft Unsicherheit und Sorge ausgelöst. „Die AfD im Deutschen Bundestag schadet unserem Land“, sagte Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer am Sonntag. Längerfristig negative Folgen für den Wirtschaftsstandort Deutschland sieht auch das deutsche Handwerk.

Die Linken-Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht gab der großen Koalition die Hauptschuld für den Wahlerfolg der rechtspopulistischen AfD. Mit dem Ergebnis für die Linken sei sie zufrieden, sagt sie dem ZDF. „Wir haben das zweitbeste Ergebnis unserer Parteigeschichte.“

In einer ARD-Analyse gaben 66 Prozent der Befragten an, die SPD habe sich nicht klar gegen Merkel positioniert, 59 Prozent finden Schulz nicht überzeugend. Merkel allerdings spaltet die Wähler weit mehr als noch vor vier Jahren: 55 Prozent gaben an, unter ihrer Kanzlerschaft seien die Sorgen der Menschen nicht ernst genug genommen worden. 51 Prozent stimmten der Aussage zu, dass zwölf Jahre Merkel ausreichend seien.