Die Grünen haben bei der Bundestagswahl nach 2009 in der Landeshauptstadt die SPD erneut von Platz zwei verdrängt. Die Genossen landen nur noch knapp vor der FDP.

Stuttgart - Ein Oberbürgermeister mit dem Parteibuch der Grünen und ein Ministerpräsident mit dem Parteibuch der Grünen, mehr Amtsboni gehen nicht. Für die Ökopartei reichte es am Sonntag bei den Zweitstimmen in der Landeshauptstadt mit 17,6 Prozent zu Platz zwei hinter der CDU (29). Die Grünen verdrängten damit die Sozialdemokraten. Ein Stimmenfänger war ihr Spitzenkandidat Cem Özdemir im südlichen Wahlkreis. Ihm fehlten 2,3 Prozentpunkte auf den Platzhirsch und Sieger Stefan Kaufmann (CDU). „Cem Özdemir hatte eine extreme mediale Präsenz, es war eng“, kommentierte Kaufmann im Rathaus erleichtert sein Abschneiden.

 

Einen dramatischen Einbruch erlebte Ute Vogt in diesem Wahlkreis. Vor vier Jahren hatte die Sozialdemokratin noch für ein Stimmen-Splitting und die Erststimme für Özdemir geworben und bei den Zweitstimmen 21 Prozent geholt. Nun trudelte die SPD unter 16 Prozent und wurde im Süden sogar auf Platz vier hinter die Liberalen durchgereicht. Ihr Ticket hatte Vogt mit Platz neun der SPD-Landesliste schon vor dem Urnengang so gut wie sicher, doch ihre 12,8 Prozent sind ein Desaster.

Vogt: Müssen da mal rauskommen

Vor vier Jahren war die SPD mit stadtweit 21,9 Prozent noch deutlich vor den Grünen (15,8) gelandet. 2009 war es der Ökopartei dagegen erstmals gelungen, sich insgesamt vor die SPD zu schieben. „Vor acht Jahren, da war die Bahnhofsnummer“, erinnert sich Vogt an die Hochzeiten der Auseinandersetzung um das Projekt Stuttgart 21. Das hatte damals auch die SPD durcheinandergewirbelt, bei der sich Befürworter und Gegner heftig beharkten.

Platz drei dürfe nicht zur Gewohnheit werden. „Wir müssen da mal rauskommen“, so die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Vogt, die schon 1994 erstmals in den Bundestag einzog. Ganz oben auf dem Treppchen landeten die Genossen zuletzt bei den Wahlen 1998 und 2002. Die Kandidaten hießen damals Ernst Ulrich von Weizsäcker (er trat auch in diesem Wahlkampf in Stuttgart auf) und Ute Kumpf. Sehr viel früher, nämlich im letzten Jahrhundert, war die SPD eine Macht, erzielte 40 und mehr Prozente. „Die Zeit der 40-Prozent-Parteien ist offenbar vorbei“, sagt Martin Körner, Fraktionschef der SPD im Gemeinderat.

Özdemir sieht Erwartung bestätigt

„Wir haben das Maximum rausgeholt. Ich wüsste nicht, was wir uns vorzuwerfen hätten. Wir haben früh nominiert, die beiden Kandidaten haben sehr viel mehr Termine gemacht als vor vier Jahren“, sagt Dejan Perc. Dennoch sei das „für uns ein schwieriges Ergebnis“, so der Kreisvorsitzende. Er wird an diesem Montag zusammen mit dem Vorstand im Cannstatter Kursaal Manöverkritik halten, zuvor tagt an gleicher Stelle der Landesvorstand. Perc, der in der SPD in Stuttgart 2011 nach einer desaströsen Landtagswahl das Ruder in dem 2000 Mitglieder starken Kreisverband übernommen hatte, war erst im März mit einem guten Ergebnis erneut im Amt bestätigt worden. Das Abschneiden der AfD in Stuttgart beschäftigt ihn. „Wir haben alles daran gesetzt, dass die AfD hier nicht zweistellig wird“, so Perc. Es habe eine Flut immer neuer Plakate gegeben, was auf personelle wie finanzielle Ressourcen bei diesem Gegner schließen lasse. „Im Norden haben wir ein höheres Potenzial“, sagt der neue AfD-Bundestagsabgeordnete und Stadtrat Lothar Maier. Der Zuspruch sei viel stärker gewesen als noch bei der Landtagswahl. Dafür gesorgt habe auch das Spitzenduell Schulz gegen Merkel. Perc erwartet, dass sich mit dem Einzug der AfD die Diskussionskultur im Bundesparlament ändert. „Mir graut davor“, sagt Perc.

Bei den Grünen blieben die früheren Jubelstürme im Rathaus trotz des guten Abschneidens aus. 2013 konnte Cem Özdemir nach dem verkorksten Steuerwahlkampf vor den Stuttgarter Mitgliedern auf andere verweisen, die Verantwortung trugen. Nun ist er als Spitzenkandidat wegen des Rückzugs der SPD bei den Koalitionsgesprächen mit CDU, CSU und FDP gefordert. Angesichts der Vormachtstellung der Grünen im Rathaus mit dem Oberbürgermeister und zwei Fachbürgermeistern sowie einer nach wie vor starken Fraktion und dem Regierungschef hatte Özdemir mit einem „überdurchschnittlich guten Zweitstimmenergebnis in beiden Stuttgarter Wahlkreisen“ gerechnet: „Wir zeigen, wie sich grüne Iden konkret umsetzen lassen.“ Mit seinem Ergebnis kann der Mann, der sein Mandat über die Landesliste sicher hat, zufrieden sein. Seine Stimme hatte er am Sonntag in einer Schulmensa in Berlin abgegeben.