Im Wahlkreis Stuttgart II soll Nicolas Schäfstoß mit Schützenhilfe der Grünen die CDU-Abgeordnete Karin Maag bei der Bundestagswahl schlagen. Manchem Grünen könnte der SPD-Kandidat gefallen, weil er Stuttgart 21 für entbehrlich hält.

Stuttgart - Die rund 157 000 Wahlberechtigten im nördlichen Stuttgarter Wahlkreis II (259) müssen sich darauf einstellen, dass erstmals seit 16 Jahren auf dem Stimmzettel der Name von Ute Kumpf fehlt. Dreimal in Folge hatte die 65-Jährige aus Heumaden den Wahlkreis für die Sozialdemokraten direkt geholt, 2009 musste die parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion allerdings auf ihre gute Platzierung auf der Landesliste zurückgreifen, um zum vierten Mal in den Bundestag einzuziehen.

 

Jetzt hat sie den Wahlkreis, der Stuttgart-Ost, Bad Cannstatt, Botnang, Feuerbach, Mühlhausen, Münster, Ober- und Untertürkheim sowie Stammheim, Wangen, Weilimdorf und Zuffenhausen umfasst, an Nicolas Schäfstoß übergeben, der sich in einem Punkt von Ute Kumpf und den meisten führenden Genossen unterscheidet: Er hält S 21 für entbehrlich.

Anders als Ute Kumpf erfährt Schäfstoß, der keinen sicheren Listenplatz hat (nur Rang 32), in den letzten Tagen vor der Wahl aktive Unterstützung durch die Grünen, die seine Chancen auf den Gewinn des Direktmandats leicht heben. Die Kreisvorstände haben bekanntlich vereinbart, im südlichen Wahlkreis zu empfehlen, die Erststimme Cem Özdemir zu geben, und im nördlichen Wahlkreis dem SPD-Bewerber. Dafür tritt die Grünen-Bewerberin Birgitt Bender zurück, die sich freilich nie Illusionen über ein Direktmandat gemacht hat. Wichtig für sie ist ein gutes Parteiergebnis. Den Einzug ins Parlament, wo sie für die Grünen seit vielen Jahren als gesundheitspolitische Sprecherin tätig ist, sichert ihr der Listenplatz elf. Was die Zweitstimme angeht, gilt für Rot wie Grün: Jeder ist sich hier selbst der Nächste.

Die SPD hat im Norden einige Hochburgen

Trotz grüner Schützenhilfe, die in den vergangenen Tagen durchaus kontrovers diskutiert wurde, oder trotz des Umstands, dass der Wahlkreis im industriell geprägten Norden einige Parteihochburgen birgt – die Aussichten für den SPD-Bewerber Schäfstoß, die Amtsinhaberin Karin Maag (CDU) zu schlagen, werden vor dem Hintergrund, dass zwei Drittel aller Wähler ihre Stimmen nicht splitten, als überschaubar eingestuft. Zudem hat die SPD in der Landeshauptstadt – auch wegen ihres S-21-Kurses, der die Partei noch immer spaltet – bei den letzten Wahlen regelmäßig neue Tiefstände getestet. Und es gibt mit der Ingenieurin und Parkschützerin Carola Eckstein (Netzwerke-Initiative), die den S 21-Gegnern bei der Wahl ein Gesicht gibt, eine weitere Kandidatin, die auf Erststimmenfang geht.

2009 erlebten die Sozialdemokraten in Stuttgart ein beispielloses Desaster, in dem sie mit Verlusten von 12,2 Prozentpunkten auf 19,3 Prozent Zweitstimmenanteil zurückfielen. Das ist neuer Nachkriegs-Minusrekord, und es hilft der SPD auch nicht weiter, dass die CDU 2009 zumindest auf 28,5 Prozent gefallen ist – so tief wie seit 1949 nicht. Im Wahlkreis II, der zwischen den Christdemokraten und den Genossen immer hart umkämpft war, dominierte der Neuling Maag mit 8,2 Prozentpunkten (oder rund 10 000 Stimmen) Vorsprung auf Ute Kumpf, die für jahrelanges Klinkenputzen 26,3 Prozent erntete. Zum Vergleich: 2005 kam sie noch auf 42,1 Prozent. Auf Dankbarkeit kann kein Kandidat zählen.

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Die FDP schielt auf die Zweitstimme

Entscheidend ist ohnehin der Bundestrend, wie am Ergebnis von Birgitt Bender deutlich wurde. Sie konnte bei ihrer dritten Kandidatur ihren Erststimmenanteil fast verdreifachen – von 6,6 auf 16,8 Prozent. Das bedeutete bundesweit Rang 13. unter den grünen Bewerbern, bei den Zweitstimmen das 18. beste Ergebnis ihrer Partei. Auch der FDP-Bewerberin Marion Heß gelang ein deutlicher Erststimmensprung von 4,3 auf 10,5 Prozent. Die Partei holte 17,3 Prozent, ein Ergebnis, das nicht wiederholt werden könne, wie der Kreisvorsitzende Armin Serwani unumwunden zugibt. Von Matthias Werwigk, dem Alt-Stadtrat mit Untertürkheimer Wurzeln, wird ein zweistelliges Ergebnis erwartet. Wie im ganzen Land werben die Liberalen nach dem Desaster bei der Bayern-Wahl für die Zweitstimme. Es geht für die FDP ums Überleben – und Werwigk muss mitkämpfen.

Ulrich Maurer mag nicht mehr

Überdurchschnittlich hatten auch die Linken im Arbeiterwahlkreis (Botnang, Obertürkheim und Uhlbach ausgenommen) abgeschnitten. Hinter Mannheim wurde landesweit das zweitbeste Ergebnis eingefahren, was auch am charismatischen Kandidaten Uli Maurer gelegen haben mag. Der ehemalige SPD-Landesvorsitzende stammt bekanntlich aus dem Norden, für ihn war das ein Heimspiel. Die Nachfolge tritt die in Argentinien geborene, aber seit vielen Jahren in Deutschland lebende Marta Aparicio de Eckelmann an. Sie ist eine erfahrene Wahlkämpferin – vor vier Jahren hatte sie im Wahlkreis I 4,7 Prozent geholt.

Außerdem treten im Norden an: Jürgen Martin (Piraten), Lutz Schernau (NPD), Volker Kraft (MLPD), Stephan Ossenkopp (BüSo), Eberhard Brett (AfD) und Jörg Stimpfig (Freie Wähler).