Rund 111 000 von etwa 376 800 Wahlberechtigten haben sich entschieden, nicht ins Wahllokal zu gehen. Sie setzen auf die Briefwahl. Die Zahl der Abgeordneten aus Stuttgart könnte stark steigen.

Stuttgart - In zwei Tagen ist Bundestagswahl, ein Ergebnis steht aber längst fest: Die Zahl der Briefwahlanträge in Stuttgart ist höher als jemals zuvor. Bis Mittwochnachmittag war sie bereits auf knapp 110 000 geklettert. Bis die Wahllokale an diesem Sonntag öffnen, dürfte sie bei rund 115 000 angekommen sein, heißt es in der Stadtverwaltung. Das wären gut 20 000 Briefwähler mehr als bei der Bundestagswahl 2013. Damals machten 93 169 Stuttgarter (24,9 Prozent) von der Briefwahlmöglichkeit Gebrauch. Inzwischen bestellt schon die Hälfte der Antragsteller die Unterlagen online im Internet.

 

Für die Entscheidung zur Briefwahl, für die beiden Kreuzchen auf dem Stimmzettel und für das Zurücksenden haben die Wähler diesmal mehr Zeit, auch daher dürfte die Zahl weiter gestiegen sein. Der Versand der Unterlagen durfte diesmal sechs Wochen vor dem Wahltag beginnen, nicht erst fünf Wochen vorher. Die rechtlichen Grundlagen waren in dem Sinne geändert worden. Die Zeitspanne war früher knapp gewesen, denn oft gehen die Briefwahlunterlagen auf eine lange Reise ins Ausland.

Maag und Kaufmann sind die Favoriten

Der Anstieg der Briefwählerzahl dürfte in erster Linie aber davon herrühren, dass immer mehr Menschen die Vorzüge dieses Verfahrens nutzen und den Wahltag auch noch anders nutzen wollen – was von manchen Experten in der Wissenschaft auch kritisch betrachtet wird. Denn daheim ist vielleicht weniger für Neutralität und für das eigenhändige Ankreuzen von Kandidat (Erststimme) und Partei (Zweitstimme) auf dem Stimmzettel gesorgt.

Die Zahl der Abgeordneten aus Stuttgart könnte stark steigen: von bisher vier auf theoretisch sechs bis neun Parlamentarier. Stefan Kaufmann und Karin Maag (beide CDU), die 2013 die Direktmandate in den beiden Stuttgarter Wahlkreisen holten, gehen sicherlich als Favoriten ins Rennen. Beide sitzen seit 2009 für die CDU im Bundestag. Dank der Absicherung auf den Landeslisten der Parteien dürften bei der Vergabe der Zweitmandate auch wieder Cem Özdemir (Grüne) und Ute Vogt (SPD) für Stuttgart in den Bundestag einziehen, wie es 2013 der Fall war – bei Vogt auch 2009.

Ein Arrangement gibt es dieses Mal nicht

Hoffen auf ein Mandat über die Landesliste können darüber hinaus Lothar Maier und Dirk Spaniel (beide AfD), Bernd Riexinger (Die Linke) und Judith Skudelny (FDP) – sofern ihre Parteien im Bund die Fünf-Prozent-Hürde überspringen. Nicht völlig aussichtslos ist auch die Kandidatur der neuen Grünen-Bewerberin Anna Christmann im Nord-Wahlkreis.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat die Zahl der Stuttgarter Abgeordneten stark geschwankt. Zeitweilig gab es hier drei Bundestagswahlkreise mit bis zu sieben Mandaten. Aber auch in Zeiten wie jetzt, mit zwei Wahlkreisen, kam Stuttgart schon auf bis zu sechs Abgeordnete.

Die Kandidaten kämpfen diesmal nur für sich und ihre Partei. Ein Arrangement, wie es die Grünen und die SPD 2013 im Süd-Wahlkreis getroffen hatten, gibt es nicht. Damals hatten sie die ihnen nahestehenden Wählergruppen aufgefordert, die Erststimme dem grünen Cem Özdemir zu geben und die Zweitstimme der SPD, die hier mit Ute Vogt antrat. Dahinter stand das Kalkül, dass es Özdemir gelingen könnte, Stefan Kaufmann (CDU) sein Direktmandat abzujagen. Diese Rechnung ging aber nicht auf. Inzwischen haben die SPD und Ute Vogt die Lust auf solche Pakte mit den Grünen verloren.

Rund 2750 Wahlhelfer werden für den ordnungsgemäßen Ablauf der Wahl und für die Auszählung sorgen. Davon sind etwa 2100 Helfer in den 350 Wahllokalen, weitere 650 in den Briefwahlbezirken tätig. Deren Zahl ist von 88 im Jahr 2013 wegen der seit Jahren wachsenden Bedeutung der Briefwahl auf jetzt 107 erhöht worden.

Wahlvorsteher bekommen mehr Geld

Für den langen ehrenamtlichen Arbeitstag erhält jeder Helfer 55,20 Euro. Damit ist Stuttgart im oberen Bereich, aber seit dem Jahr 2000 habe man den Betrag nicht mehr erhöht, sagt Michael Haußmann vom Statistischen Amt der Stadt. Dies könnte zunehmend ein Hemmnis werden, denn das durchschnittliche Alter der Helfer ist gestiegen und die Stadt muss um Nachwuchs bemüht sein.

914 Helfer, die sich an diesem Samstag noch einer Schulung unterziehen, erhalten noch 27,60 Euro oben drauf. Es sind die Wahlvorsteher und ihre Stellvertreter in den Wahllokalen. Die Vorsteher, die sich vorab die Wahllokale ansehen, erhalten noch 18,40 Euro mehr.