Der Chef der Atomaufsicht in Stuttgart darf nun doch als Zeuge vor einem Sonderausschuss in Hessen aussagen. Bundesumweltministerin Hendricks erlaubt ihm das – und attackiert zugleich den Wiesbadener Regierungschef Bouffier.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart / Wiesbaden - Der Chef der Atomaufsicht im Umweltministerium von Franz Untersteller (Grüne), Gerriet Niehaus, darf nun doch als Zeuge vor einem Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags aussagen. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) gibt ihre bisherige Weigerung auf und erlaubt dem früher für die Bundesaufsicht zuständigen Beamten eingeschränkt die Aussage. Damit reagiert sie auf fraktionsübergreifende Kritik aus dem Ausschuss, der Fehler bei der Stilllegung des Kernkraftwerks Biblis aufklären soll, vor allem aber auf eine Attacke des hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU). Wenn dieser ihr mangelndes Aufklärungsinteresse unterstelle, sei das „geradezu aberwitzig“, empörte sich Hendricks.

 

Bouffier steht unter Druck, weil ein vom früheren RWE-Chef Jürgen Großmann bestellter Brief von ihm den Energiekonzernen RWE, Eon und EnBW als Munition bei ihren Schadenersatzklagen gegen Bund und Länder dient; alle drei berufen sich auf das Schreiben. Sie verlangen zusammen mehr als 880 Millionen Euro für den Stillstand ihrer Altmeiler nach Fukushima bis zum Inkrafttreten des Atomausstiegs. In dem Brief hatte Bouffier versichert, Hessen werde eine Wiederanfahren von Biblis nach Ablauf des dreimonatigen Moratoriums nicht dulden. Er weist den Vorwurf scharf zurück, den Konzernen damit eine Grundlage für ihre Klagen geliefert zu haben; dies wird nun auch in einem von der CDU bestellten Gutachten bestritten.

Fachleute als lästige Aufpasse kalt gestellt

Die Aussage des Stuttgarter Atomaufsehers Niehaus ist für den U-Ausschuss besonders interessant, weil er die Umstände des Moratoriums erhellen könnte. Damals gab es massive Zweifel, ob der gewählte Weg für die Zwangsabschaltung von sieben Altmeilern rechtlich gangbar sei: Bund und Länder beriefen sich pauschal auf einen „Gefahrenverdacht“ nach Fukushima. Der damalige Chef der Bundesaufsicht im Ressort von Norbert Röttgen (CDU) hatte dagegen empfohlen, das Moratorium mit einer sicherheitstechnischen Begründung zu untermauern; andernfalls drohten „rechtliche und finanzielle Risiken“.

In der Folge wurden Niehaus und seine Arbeitsgruppe von Röttgen und dem damaligen Abteilungsleiter Gerald Hennenhöfer, einem ehemaligen Atomlobbyisten, kalt gestellt. An wichtigen Beratungen der Reaktorsicherheitskommission durften sie nicht teilnehmen. Man wolle „ohne Aufpasser“ diskutieren, zitierte das TV-Magazin „Monitor“ aus einem Schreiben Hennenhöfers; darin sei von einem „massiv gestörten Vertrauensverhältnis“ zu Niehaus’ Arbeitsgruppe die Rede. Die Beamten hatten sich damals direkt bei Röttgen beschwert, aber offenbar keine Antwort erhalten. Für die Grünen-Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl ist es laut „Monitor“ ein „sehr ungewöhnlicher Vorgang“, die eigenen Experten als lästige Aufpasser fernzuhalten.

Ex-RWE-Chef wird am Freitag gehört

Wann Niehaus als Zeuge gehört wird, steht noch nicht fest. Hendricks will ihn nur in nicht-öffentlicher Sitzung aussagen lassen und kündigte an, den Umfang der Genehmigung noch mit den Bundesministern für Justiz, Inneres und Finanzen abzustimmen. Großmann und Hennenhöfer sollen an diesem Freitag als Zeugen gehört werden. Ursprünglich wollte der Jurist in die Anwaltskanzlei von Ex-Minister Röttgen einsteigen. Diese Pläne haben sich laut dem Branchendienst Juve aber kurzfristig zerschlagen.