Das Bundesverfassungsgericht hat viel für gleichgeschlechtliche Paare getan. Das Ehebild der Richter scheint jedoch eher konservativ zu sein. Wie ein Urteil bei der Ehe für alle ausfallen könnte ist Anlass für Spekulationen. Es gibt zumindest gewisse Hinweise auf eine Entscheidung.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - Das Gesetz ist beschlossen, erledigt ist das Thema damit aber noch nicht. Die Frage, ob die Ehe für alle mit dem Grundgesetz vereinbar ist, ist zwar nicht neu, aber erst nach der Abstimmmung im Bundestag am Freitag gewinnt sie so richtig an Fahrt. Und eines ist dabei klar: einfach ist die Antwort auf diese Frage nicht. Diejenigen, die behaupten, die Große Koalition habe mit ihrer wahrscheinlich letzten großen Entscheidung dieser Legislaturperiode einen Verfassungsbruch begangen, haben zumindest bedenkenswerte Argumente auf ihrer Seite.

 

Im Grundgesetz wird über die Ehe nicht viel Aufhebens gemacht. Dort heißt es in Artikel 6: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.“ Was eine Ehe ist, definiert die Verfassung nicht, sie überlässt dies dem Gesetzgeber. Nun ist es wahrscheinlich unstrittig, dass die Mütter und Väter des Grundgesetzes nicht all zu viel Gedanken daran verschwendet haben, dass die Ehe eine auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau ist. 1948, als die Arbeiten am Grundgesetz begannen, entsprach das der einzig vorstellbaren Lebenswirklichkeit. Die Frage lautet daher, wie das fast 70 Jahre alte Grundgesetz im Lichte der heutigen Zeit zu interpretieren ist. Diese Aufgabe fällt dem Bundesverfassungsgericht zu. Deren bisherige Entscheidungen zum Thema Ehe können Aufschluss geben.

Urteil im Jahr 2002 war ein Meilenstein

Bis in die jüngste Vergangenheit hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach betont, dass die Ehe ein „allein der Verbindung zwischen Mann und Frau vorbehaltenes Institut“ ist. Das ist gelegentlich ein wenig aus dem Blickfeld geraten, weil die Karlsruher Richter seit dem Urteil zur eingetragenen Lebenspartnerschaft im Juli 2002 viel zugunsten gleichgeschlechtlicher Paare entschieden haben. Heute ist homosexuellen Partnern praktisch nur noch die Volladoption verwehrt. Karlsruhe hat die nahezu vollständige Angleichung der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft an die Ehe aktiv mit voran getrieben. Obwohl in Artikel 6 nur von einem besonderen Schutz der Ehe die Rede ist, wurden gleichgeschlechtliche Paare bei der Hinterbliebenenversorgung, bei der Erbschaftssteuer und sogar beim Ehegattensplitting gleichgestellt.

Hans Jürgen Papier, von 2002 bis 2010 Präsident des Bundesverfassungsgerichts, hat sich nun im „Spiegel“ dahingehend geäußert, dass die Ehe für alle verfassungswidrig sei. Papier hatte schon 2002 ein Sondervotum abgegeben, weil er anderer Ansicht war als seine Senatskollegen, die die eingetragene Lebenspartnerschaft mit dem Grundgesetz für vereinbar hielten. Sechs Jahre später stimmte dann aber auch der Präsident – in einem zugegebenermaßen sehr speziellen Fall – für die gleichgeschlechtliche Ehe.

Die Klagebefugnis ist in diesem Fall kompliziert

Die Richter kippten damals die Regel, dass sich ein Ehepartner, der sich einer Geschlechtsumwandlung unterziehen wollte, zunächst scheiden lassen muss, weil sonst die Geschlechtsumwandlung rechtlich nicht anerkannt wurde. Doch selbst in diesem Urteil findet sich eine Passage die erklärt, dass die „Verschiedenheit der Geschlechter“ Bestandteil der Ehe ist. Allerdings: Im Gesamtzusammenhang ging es um die Abgrenzung zwischen Ehe und Lebenspartnerschaft. Ob daraus eine Definition der Ehe erfolgen kann, ist strittig.

Karlsruher Entscheidungsexegese ist das eine, das andere ist die Frage, wer vor dem Verfassungsgericht als Kläger auftreten kann, darf oder will. Eine Verfassungsbeschwerde wird im Fall der Ehe für alle kaum funktionieren, weil durch das neue Gesetz niemand benachteiligt wird. Es bliebe die Möglichkeit einer abstrakten Normenkontrolle. Dafür ist der Kreis der Antragsberechtigten jedoch schon in der Theorie überschaubar. Infrage kommen die Bundesregierung, ein Viertel der Bundestagsabgeordneten oder eine Landesregierung. Ein Viertel der Abgeordneten, das wären 158 Personen, mehr als die Hälfte der Unionsfraktion. Dass es dazu kommt, ist unwahrscheinlich. Von den 16 deutschen Landesregierungen käme wohl nur die aus München in Frage.