Das Bundesverfassungsgericht tritt mit seiner Entscheidung zum Kopftuch bei Lehrerinnen für die Gleichbehandlung religiöser Symbole ein, kommentiert StZ-Redakteur Christian Gottschalk.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - Es gibt deutsche Universitäten, an denen islamische Theologie gelehrt wird. Es gibt allein in Stuttgart Hunderte von Grundschülern, die vom Islamunterricht profitieren. Es gibt Untersuchungen, die belegen, dass ein vernünftiger Islamunterricht in Deutschland für Schüler, Pädagogen und Eltern Vorteile bietet. Und es gibt das ganz generelle Verbot für Lehrerinnen, mit einem Kopftuch vor die Klasse zu treten. Das passt nicht zusammen. Es entspricht daher dem gesunden Menschenverstand, dass das Bundesverfassungsgericht diese Widerspüchlichkeiten ein Stück weit bereinigt.

 

Formal haben die Richter des ersten Senates lediglich eine zwölf Jahre alte Rechtsprechung ihrer Kollegen modifiziert. In der praktischen Auswirkung haben sie das Urteil aus dem Jahr 2003 um 180 Grad gedreht. Damals war die Kopftuchträgerin Fereshta Ludin nicht in den baden-württembergischen Schuldienst übernommen worden, hatte geklagt und die Richter drückten sich vor einer Entscheidung in der Sache. Es bedürfe einer landesgesetzlichen Regelung, so urteilte der Zweite Senat nur, um Kopftücher in den Schulen zu verbieten – wohl wissend, dass die Mehrzahl der Bundesländer solche Gesetze erlassen würde. Auch Baden-Württemberg hat das getan. Praktisch waren Kopftücher in den Schulen seither verboten.

Nun macht das Gericht dem Gesetzgeber inhaltliche Vorgaben, die dazu führen werden, dass ein Großteil eben dieser Landesgesetze neu zu fassen ist. Das Kopftuch sei nur dann zu verbieten, wenn es im konkreten Fall den Schulfrieden störe. Das ist, salopp interpretiert, eine Umkehr der Beweislast. Praktisch sind Kopftücher erst einmal erlaubt. Der konkrete Einzelfall muss dann geprüft werden. Für die Zukunft ist damit neuer Streit programmiert, und der kann in Oberammergau durchaus zu anderen Ergebnissen führen, als in Berlin-Neukölln. Schlimm ist das nicht. Das entspricht der Lebenswirklichkeit. Und vielleicht geht die Gesellschaft mit den Kopftüchern im Klassenzimmern ja einmal ähnlich entspannt um wie mit den Kruzifixen.

Gleiches muss gleich behandelt werden

Der verfassungsrechtliche Streit über die Kreuze ist noch älter als der Kampf um das Kopftuch. Das Aufhängen eines Kreuzes ist ein staatlicher Akt, das Kopftuch ein persönliches Bekenntnis seiner Trägerin. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Deswegen haben die Verfassungsrichter das Kruzifix erst einmal verboten. Vor allem in Bayern hängt es vielerorts trotzdem. Nur dann, wenn es Beschwerden dagegen gibt, muss es von der Wand. Viele Beschwerden gab es nicht in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Echauffiert sich niemand, bleibt das Kreuz im Klassenraum – so wie künftig auch die Lehrerin mit Kopftuch.

Mit ihrem gestrigen Beschluss haben die Richter noch einen zweiten Punkt klargestellt. Der ist in der Theorie nicht minder wichtig, auch wenn sich die praktischen Auswirkungen nach dem Ende des strikten Kopftuchverbotes in Grenzen halten werden. Der Grundsatz lautet: Gleiches muss gleich behandelt werden. Wer ein Kopftuch als Ausdruck der Verbundenheit mit dem Islam trägt, ist nicht anders zu behandeln als jemand mit Kippa als Zeichen für das Judentum – oder mit einem Kreuz als Symbol für die Christenheit. Zahlreiche Landesgesetze hatten 2003 das Kopftuch verboten, christliche Symbolik aber ausdrücklich gestattet. Das geht nicht.

Nachbessern in Stuttgart

Auch hier muss Baden-Württemberg nachbessern. 2003 hatte die damalige Kultusministerin Annette Schavan angekündigt, sie wolle ein wasserdichtes Kopftuchverbot, das christliche Symbole zulässt. Das ist mit übergeordnetem Recht ebenso wenig vereinbar wie der Wunsch des aktuellen Verkehrsministers nach einer PkW-Maut, die nur Ausländer belastet. Alexander Dobrindt will das nicht wahr haben. Den deutschen Kultusministern ist nun mehr Einsicht zu wünschen.