Um die Auftritte von Jugendoffizieren in Schulen ist ein Konflikt in der Landesregierung entbrannt. Die Grünen stellen die Kooperation mit der Bundeswehr in Frage – die SPD hält dagegen. Denn die Schüler lernen viel Neues über Sicherheitspolitik.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Der Kasernenhofton klingt anders: Ein lang gezogenes, noch müdes „Mooorgen“ hallt Hauptmann Tobias Dürr aus gut zwei Dutzend Mündern entgegen, als er an diesem Freitagmorgen um Viertel vor Zehn vor die 10 a des Böblinger Otto-Hahn-Gymnasiums tritt. Schon draußen auf dem Flur hat der Mann in Luftwaffenuniform verstohlene Blicke von Schülern auf sich gezogen. Nun verbindet er im Medienraum seinen Beamer mit dem Computer und bemüht sich um Unterrichtsnormalität.

 

Dürr ist einer von elf baden-württembergischen Jugendoffizieren, die in den Klassenzimmern über die „sicherheitspolitischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“ aufklären. „Was könnte Deutschland gefährlich werden?“ – das ist sein Thema. Grundlage seines Besuchs ist das viel kritisierte Kooperationsabkommen der damals CDU-geführten Landesregierung mit der Bundeswehr vom 4. Dezember 2009. „Jugendoffiziere informieren im schulischen Kontext über die zur Friedenssicherung möglichen oder notwendigen Instrumente der Politik“, heißt es darin. Aber auch: „Jugendoffiziere werben nicht für Tätigkeiten innerhalb der Bundeswehr.“

Kein Lehrer-Kollege würde die Einladung monieren

Fast immer greifen die Lehrer zum Telefon, um den Besuch zu arrangieren – so auch die Gemeinschaftskundelehrerin Inga Ommer. Immer wieder streut die junge Frau praxisnahe Einheiten ein. Warum nicht den Vortrag des Jugendoffiziers? Keiner ihrer Kollegen moniere es. Demnächst will sie einen Amnesty-Vertreter einladen.Dürr erscheint als Referent sehr geeignet, nicht nur weil er von der Bundeswehr eine intensive rhetorische Schulung erhalten hat, sondern auch weil er nach dem Ende seiner zwölfjährigen Dienstzeit demnächst Lehrer werden will – zudem ist er mit einer Pädagogin verheiratet. „Ich bin Infanterist der Luftwaffe“, stellt er sich vor. „Weiß jemand, was ein Infanterist ist?“ Ein Fußsoldat, genau. Die Ausbildung in Hammelburg „war anstrengend, hat aber auch Spaß gemacht“, schildert er. Gibt es noch Fragen seitens der Schüler? „Muss man sich die Haare so kurz schneiden, wenn man zur Bundeswehr will?“ Muss man. „Stirn, Nacken und Ohren müssen frei sein“, gibt der Offizier zurück. Lange Haare würden unter dem Helm stören.

Es sind ausschließlich die Jungen, die sich melden

Später will ein Schüler – und es sind an diesem Morgen ausschließlich die Jungen, die sich melden – wissen, ob man bei der Bundeswehr die deutsche Staatsbürgerschaft brauche. Ein anderer erkundigt sich nach der „Kampferfahrung“ von Tobias Dürr. „Ich hatte großes Glück, dass ich nie in den Einsatz gehen musste“, antwortet er.

So erfahren die 15- bis 16-Jährigen eher beiläufig, was los ist bei der Truppe. Nachwuchswerbung ist das freilich nicht. Bei Fragen zur Bundeswehr als Arbeitgeber müsste er ohnehin an die Wehrdienstberater verweisen, versichert Dürr. Dazu sei er gar nicht ausgebildet. Doch darum geht es an diesem Morgen auch gar nicht: Die Doppelstunde gleicht eher einem Parforce-Ritt durch die Zeitgeschichte. Schnellsprecher Dürr hastet von der Bundeswehr- und Nato-Gründung durch den Kalten Krieg zu den Konflikten des 21. Jahrhunderts. Schwerpunkt ist die heutige Bedrohung durch den Terrorismus. Welche Risiken die Schüler für Deutschland sehen, will Dürr wissen. „Wo noch Besatzungseinheiten sind, könnten die sich rächen“, sagt ein Zehntklässler. Der Offizier korrigiert: „Deutschland ist nirgendwo Besatzungsmacht – das hört sich ein bisschen negativ an.“ Dann zeigt er ein Bild von einer Extremistin mit Koran und Maschinengewehr in der Hand – eine Art Kampfansage. „Da muss man aufpassen“, erläutert Dürr. „Der Islam ist wie das Christentum eine friedliebende Religion.“ Wer den Koran kriegerisch auslege, habe weltliche Ziele.

„Kriegsschiffe zu schicken, reicht nicht“

Der Hauptmann ordnet ein, wo die Klasse etwas missverstehen könnte – auch als es um die somalischen Piraten am Horn von Afrika geht: „Kriegsschiffe zu schicken reicht nicht – sie können nur Auswirkungen bekämpfen“, sagt er. „Man muss versuchen, die Ursachen zu beheben, um Staatlichkeit wiederherzustellen und die Hungersnot der Menschen zu lindern.“Seinen Vortrag beschließt Dürr mit den sechs Aufgaben der Bundeswehr – von der internationalen Konfliktverhütung bis zur Hilfe nach Naturkatastrophen. „Noch Fragen?“ Dann wird er von der 10 a mit heftigem Beifall verabschiedet. Die Schüler haben einiges gelernt. Auch Inga Ommer ist angetan. „Sehr informativ“, lobt die Lehrerin. „Ein sehr guter Überblick.“ Die Chefin des Gymnasiums, Stefanie Bermanseder, unterstützt sie da vorbehaltlos. Kollegen erheben hingegen Einwände: Der Leiter eines Stuttgarter Gymnasiums (der nicht genannt werden will) betont zwar, seinen Lehrern bei den regelmäßigen Besuchen der Jugendoffiziere freie Hand zu lassen, doch dass sein Haus damit noch in den Medien dargestellt wird, das geht ihm zu weit.

Keine kritische Sicht auf die Rolle der Bundeswehr

Der Mann hat unüberhörbare Vorbehalte gegen die Kooperation. „Es geht um Meinungsbildung“, sagt er. „Ich kann sie so betreiben, dass ich gesellschaftliche Gruppierungen zu Wort kommen lasse, die ein bestimmtes Thema von verschiedenen Seiten beleuchten.“ Derzeit würden kritische Sichtweisen auf die Rolle der Bundeswehr nicht vorkommen. Auch wenn der Jugendoffizier politische Bildung vermittle, werde die Armee nicht prinzipiell infrage gestellt, befindet der Schulleiter. Es müsse nicht einmal der gleiche Termin sein, doch sollten sich die Schüler auch von der anderen Seite informieren lassen können, um dann eine eigene Position zu entwickeln.

Ein anderer Schulleiter aus der Region sieht das Abkommen weniger kritisch: Die Bundeswehr sei Teil der demokratischen Gesellschaft – warum sollten die Jugendoffiziere nicht kommen, wenn der Lehrer dies wünsche? Aber wenn die Politik es anders wolle, sei es auch in Ordnung. Er sei da „ganz frei“. Schließlich sei er selbst zwei Jahre lang Zeitsoldat gewesen und habe danach den „Kriegsdienst“ verweigert.