Mit dem Aus für das „Holzhybridhaus“ fehlt der Bundesgartenschau 2019 in Heilbronn eine Attraktion. Die Wüstenrot Haus- und Städtebau GmbH Ludwigsburg hat sich aus dem Investorenauswahlverfahren Neckarbogen zurückgezogen. Jetzt bleibt nur die „Grüne Ecke“ als Prestigeprojekt.

Heilbronn - Als sich der Heilbronner Gemeinderat bei der Auswahl der Bauprojekte für den neuen Stadtteil Neckarbogen vor Vorfreude fast überschlug und die Stadträte kaum einen Superlativ ausließen, sagte Heiner Dörner (Freie Wähler) nur: „Alles ist erst Papier.“ Er sollte recht behalten, nur drei Monate später kam das „Aus“ für das prestigeträchtigste Objekt innerhalb des ersten Bauabschnittes des Neckarbogens für die Bundesgartenschau 2019.

 

„Die Wüstenrot Haus- und Städtebau GmbH (WHS), Ludwigsburg, zieht sich aus dem Investorenauswahlverfahren Neckarbogen zurück. Nach intensiver Prüfung hat das Unternehmen entschieden, das geplante neungeschossige Holzhybridhaus im Baufeld J nicht zu realisieren“, teilte die Buga GmbH jetzt mit. Die Absage wurde damit begründet, dass sich „nach eingehender Prüfung die Idee von einem Hochhaus ganz aus Holz im gegebenen Rahmen und Zeitraum leider nicht umsetzen und realisieren lässt.“ In der Tat hätte dieses Holzhybridhaus einen Meilenstein in der Bauentwicklung und Architektur dargestellt, dass es nun entfällt, ist ein herber Schlag angesichts der mit dem Neckarbogen verbundenen Ambitionen von zukunftsweisendem Bauen.

Der Rückzug des Bauträgers Wüstenrot überrascht die Planer nicht

Wenn der Neckarbogen gebaut wird, Fertigstellung soll 2018 sein, wird in diesem Bereich der Stadt das unterste zu oberst gekehrt, werden Straßen und Brücken neu gebaut oder umgebaut und Parks angelegt. Dazu kommt die Riesenbaustelle für die experimenta 2, die eigentlich ein Jahr früher hätte fertig sein sollen, bei der aber archäologische Ausgrabungen auf dem Baugelände Neckarinsel den Baubeginn wesentlich verzögerten.

Innerhalb der Stadt- und Bauverwaltung wird das Zeitproblem noch erstaunlich niedrig gehängt, wohingegen Investoren und Architekten kaum ein Hehl daraus machen, dass ihnen die Zeit davon läuft – vor allem im Hinblick auf Gemeinschaftsprojekte wie Tiefgaragen, Freiflächenplanung bis hin zur Baustellenlogistik.

Vor diesen vielfältigen Problemen hat der Bauträger Wüstenrot offensichtlich kapituliert. Dabei war das Holzhybridhaus, ein Entwurf des Stuttgarter Architekten Jens Wittfoht, wegen seiner Höhe und prominenten Platzierung als auch wegen des ungewöhnlichen neuen Konzeptes als „Leuchtturm“ des Neckarbogens von hoher Symbolkraft für das gesamte Projekt. Wirklich überrascht vom Wüstenrot-Rückzug ist Wittfoht nicht, auch er verweist auf die schwierigen und sehr komplexen Rahmenbedingungen, das viel zu enge Zeitfenster und nachträgliche Planungsänderungen. Der Ausstieg sei sicher „nach sehr reiflicher Überlegung“ erfolgt, sagt er mit Bedauern. Das Holzhybridhaus, sei ein großes Thema und „wahnsinnig ambitioniert“ gewesen. Investoren würden zu solchen Projekten üblicherweise nicht Ja sagen, weil sie kaum Rendite brächten. Wittfoht ist nicht der einzige, der den „Schwarzen Peter“ nicht dem Aussteiger Wüstenrot zuschieben will. Die Buga GmbH bedauert dies Entwicklung mit wenigen, dürren Worten: „Wir respektieren die Entscheidung der WHS“, sagt ihr Geschäftsführer Hanspeter Faas. Dabei hat sich die Buga GmbH, gestützt vom Gemeinderat, selbst Fesseln angelegt mit der Regelung im Investorenauswahlverfahren, dass Projekte, die sich nicht verwirklichen lassen, ersatzlos bleiben sollen. Dies hatte Faas noch vor kurzem unterstrichen.

Für den neuen Werkstoff fehlt noch eine Zulassung

Bei dem Filetgrundstück, auf dem das 22 Meter hohe Holzhybridhaus das Ausrufezeichen für das ganze Quartier setzen sollte, geht das nicht. Es gibt eine Einigung mit Wittfoht und Wüstenrot, dass der Entwurf von einem anderen Investor übernommen werden kann. Von den Investoren innerhalb des Verfahrens bleiben nur etwa zehn. Joachim Kruck, einer der Großinvestoren im Neckarbogen winkt ab: mehr kann und will er nicht stemmen. Auch er kennt noch nicht alle Parameter für seine Bauprojekte, deren Schwerpunkt im Bereich neue Mobilität liegt. Dafür arbeitet er mit dem Fraunhofer-Institut zusammen. Er wartet auf Planungssicherheit, unter anderem wegen der gemeinsamen Tiefgaragen.

Der Heilbronner Architekt Franz Josef Mattes wertet den Wüstenrot-Rückzug als schlechtes Zeichen. Auch bei seinem innovativen Bauvorhaben ist noch nicht alles in trockenen Tüchern. Für eine Investorengemeinschaft will er die „Grüne Ecke“ bauen, mit dem neuen Werkstoff Infraleichtbeton. Dieses Vorzeige-Haus für Wohnen und Arbeiten wird das Ende der „fossilen Stadt“ vor Augen führen, sagt er. An der Entwicklung von Infraleichtbeton (Mischung aus Zement, Blähtonperlen, Blähglasperlen und Recyclingglas-Granulat) arbeitet der Ingenieur Mike Schlaich ( Schlaich Bergemann & Partner, Stuttgart und Berlin), Inhaber des Lehrstuhls für Entwerfen und Konstruieren, Massivbau an der TU Berlin.

Die „Grüne Ecke“ ist bisher nur eine Vision

Sein Selbstversuch-Wohnhaus in Berlin-Pankow hat Mattes aus dem neuen Werkstoff gebaut und damit begeistert. Für dessen Verwendung beim Bau von Mehrfamilienhäuern fehlt noch die Zulassung. Sie soll ein Forschungsprojekt von Schlaich und Mattes an der TU erbringen. Das aber könnte die zweite Zitterpartie für den Neckarbogen werden, denn dabei wird nicht nur gegen die Zeit, sondern vor allem auch gegen die Bau(rechts)bürokratie gekämpft.

Mattes ist überzeugt, dass mit der Weiterentwicklung dieses dann in Heilbronn erstmals eingesetzten Baustoffes dank seiner Gestaltungsmöglichkeiten und Eigenschaften der Städtebau in Deutschland ganz neu definiert werden könnte und dass diese auch im Interesse der Industrie liegen müsse, wo er ebenfalls noch Partner sucht. Mit Ultraleichtbeton seien schon in naher Zukunft Energieeffizienzwerte erreichbar, die eine Heizung unnötig machten. Die Mauern seiner „Grünen Ecke“ werden 60 bis 70 Zentimeter dick sein, sagt er. Im Haus werde eine Atmosphäre herrschen wie in einer Kirche. Nicht nur er muss nun beten, dass aus seiner Vision Realität wird. Auch Stadt und Buga GmbH müssen das tun, denn allzu viele weitere richtungsweisende Bauprojekte, die den einst so hohen Anspruch eines zukunftsweisenden Stadtteiles erfüllen, gibt es nicht mehr.